Grenzgänger Hohe Hürden vor Schuldenerlass

Straßburg · Wegen einer Sonderregelung im französischen Grenzgebiet überlegen überschuldete Deutsche, ihren Wohnsitz dorthin zu verlagern.

 Mancher Saarländer glaubt, dass er im Département Moselle seine Schulden rascher loswerden kann als in Deutschland.

Mancher Saarländer glaubt, dass er im Département Moselle seine Schulden rascher loswerden kann als in Deutschland.

Foto: dpa/Alexander Heinl

Rund 195 000 Menschen haben 2016 in Frankreich Privatinsolvenz angemeldet. Im Elsass und im Département Moselle gelten aber noch spezielle Bestimmungen des Lokalrechts. Diese würden überschuldete Deutsche gerne ebenso nutzen. Doch so einfach geht das nicht.

Das sogenannte Privatinsolvenzverfahren (faillite civile) ist ein Überbleibsel der deutschen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Als das Elsass und das Département Moselle wieder in den französischen Staat eingegliedert wurden, blieben einige Aspekte des deutschen Rechts bestehen und gelten heute nach wie vor, manchmal parallel zu den klassischen Gesetzen, die frankreichweit angewendet werden.

In den betroffenen Gebieten können sich die Schuldner für das Überschuldungs- oder das Privatinsolvenzverfahren entscheiden, das zügiger über die Bühne geht. Während sich das deutsche Recht in vielen Bereichen entwickelt hat, ist das Lokalrecht der französischen Grenzgebiete immer noch das Gleiche. Und wird so interessant für überschuldete Deutsche. Denn während das deutsche Verbraucherinsolvenzverfahren als ersten Schritt einen außergerichtlichen Einigungsversuch mit den Gläubigern vorsieht, entfällt dieser im Rahmen des Verfahrens in den Grenzgebieten. Vielmehr wird die Sache direkt bei Gericht angemeldet und dort verhandelt. In den meisten Fällen dauert das Verfahren nur wenige Wochen, bis es zu einem Schulden­erlass kommt.

Um ein solches Verfahren zu beantragen, ist die französische Staatsangehörigkeit keine Voraussetzung. Vielmehr muss sich der Lebensmittelpunkt des Betroffenen seit mindestens sechs Monaten im Département Moselle oder im Elsass befinden. Deshalb kommen laut einem Bericht des Zentrums für Europäischen Verbraucherschutz (ZEV) in Kehl immer mehr überschuldete Menschen aus der Region auf die Idee, ihren Wohnort über die Grenze zu verlagern. Denn das Privatinsolvenzverfahren birgt einen zusätzlichen Vorteil zum klassischen französischen Überschuldungsverfahren: Er muss automatisch in Deutschland anerkannt werden. „Auch deutsche Gläubiger sind in diesem Fall an die Entscheidung der französischen Gerichte gebunden“, teilt das ZEV mit. Weil sich die Fälle in den vergangenen Jahren gehäuft haben, werden die Richter immer misstrauischer, was die Anträge von Deutschen angeht. „Eine reine Wohnsitzverlagerung reicht nicht aus, damit dem Antrag stattgegeben wird. Es muss zudem nachgewiesen werden, dass sich der Lebensmittelpunkt für längere Zeit in Frankreich befindet“, sagt Gabriele Eckert, die Menschen in schwieriger finanzieller Lage beim Caritasverband Offenburg-Kehl berät. Mit einem Mietvertrag ist dies nicht getan. Nicht selten verlangen die Richter nun auch Quittungen wie Wasser- und Steuerabrechnungen, Lohnzettel oder die aktive Mitgliedschaft in einem örtlichen Verein, die auf ein tatsächliches Leben in Frankreich hinweisen. Unerlässlich ist es meistens auch, dass der Schuldner Französisch spricht. „Die Sprachkenntnisse sind sehr wichtig, um die Bindung zu Frankreich glaubhaft zu machen“, berichtet Gwénaelle Bodilis. Die Juristin arbeitet beim Verein Crésus Alsace in Straßburg, wo überschuldete Menschen nach Hilfe suchen, um ihren Antrag für das Gericht fertig zu machen. Zu Bodilis kommen auch Deutsche, die das Privatinsolvenzfahren in Anspruch nehmen möchten. „Wenn sie nicht wasserdicht belegen können, dass sie schon seit langem in der Region leben und nicht hauptsächlich in Deutschland, rate ich ihnen dennoch davon ab“, so die Juristin.

Wird der Antrag vom Gericht abgelehnt mit der Begründung, dass der Schuldner nicht nach Treu und Glauben (de bonne foi) handelt, wird dies als Gesetzesumgehung betrachtet, und so verliert der Betroffene alle Ansprüche. „Auch wenn das Verfahren in Deutschland mit einer Dauer von drei bis sechs Jahren insgesamt länger dauert, würde ich den Deutschen, deren Status in Frankreich unklar ist, immer dazu raten, in ihrem Heimatland das Verbraucherinsolvenzverfahren zu beantragen.“

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