Milliardenstrafe für Lkw-Kartell

Brüssel · 2,93 Milliarden Euro kostet mehrere europäische Lkw-Hersteller eine 14 Jahre lang geübte Praxis, bei der sie Preise abgesprochen und die Einführung neuer Technologien koordiniert haben.

 Lkw-Zugmaschinen in einem Daimler-Werk in Rheinland-Pfalz: Der Konzern bekommt mit 1,09 Milliarden Euro den höchsten Teil der Kartellstrafe aufgebrummt. Foto: dpa

Lkw-Zugmaschinen in einem Daimler-Werk in Rheinland-Pfalz: Der Konzern bekommt mit 1,09 Milliarden Euro den höchsten Teil der Kartellstrafe aufgebrummt. Foto: dpa

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Die Geschichte dieses Kartells taugt als Vorlage für einen Wirtschaftskrimi - doch angesichts des massiven Schadens für Käufer und Verbraucher bleibt angenehmes Gruseln aus. Am Rande großer Industrie-Messen und Branchen-Veranstaltungen trafen sich die Vertreter von Daimler, MAN, Iveco, DAF und Volvo/Renault in erlesenem Rahmen. Bei guten Weinen und fürstlichen Diners einigte man sich auf Bruttolistenpreise, also die Kosten für Lkw-Züge ab Werk, sowie den Zeitpunkt, wann man zu welchem Preis neue Abgas-Technologien wie die Normen Euro III bis VI einführen solle. Seit 1997 ging das so, insgesamt 14 Jahre lang. Zuletzt verlegte man sich auf diskreten Mail-Verkehr. Doch der Schummel-Club flog auf, als Mitbewerber MAN der Brüsseler EU-Kommission einen Tipp gab. Gestern zog Europas Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager einen Schlussstrich und verhängte die höchste jemals geforderte Strafzahlung an fünf Hersteller: insgesamt 2,93 Milliarden Euro .

Dabei muss Daimler mit einem Bußgeld von über einer Milliarde besonders tief in die Tasche greifen. DAF wird 752,6 Millionen bezahlen, Volvo/Renault 670,5 Millionen. Für Iveco fallen 494,6 Millionen an. Lediglich MAN ging leer aus. Die eigentlich fällige Geldbuße in Höhe von 1,2 Milliarden Euro wurde dem Unternehmen im Rahmen einer Kronzeugen-Regelung vollständig erlassen, weil die Firmenleitung den Schwindel aufgedeckt und nach Brüssel gemeldet hatte. Gegen den schwedischen Lkw-Bauer Scania wird noch weiter ermittelt.

"Es kann nicht hingenommen werden, dass MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF, die zusammen neun von zehn der in Europa produzierten mittelschweren und schweren Lkw stellen, untereinander ein Kartell bilden, anstatt miteinander zu konkurrieren", sagte Vestager. Sie betonte, das Bündnis habe nicht das Ziel verfolgt, neue Abgasnormen zu torpedieren oder zu behindern. Auch sei es nicht zu Versuchen gekommen, die Emissionen der Brummis durch Software-Tricks zu manipulieren. Doch die Preis-Absprachen der Hersteller wiegen schwer genug.

Innerhalb von drei Monaten muss das Geld nun überwiesen werden. Die horrenden Summen fließen in die Gemeinschaftskasse der Union und mindern so die Beiträge der Mitgliedstaaten. Mit der Rekordstrafe ist das Thema aber noch nicht ausgestanden. Denn derartige Urteile der Brüsseler Kommission gelten stets als rechtliche Grundlage für private Schadensersatzklagen. Die "Deutsche Verkehrszeitung" (DVZ), das Sprachrohr der Logistik-Branche, hat bereits detailliert aufgelistet, wie viel Geld sich Käufer, aber auch Leasingnehmer von den Herstellern zurückholen können. Bei Lkw-Listenpreisen zwischen 70 000 und 150 000 Euro pro Gefährt könne der Schaden leicht zwischen 7000 und 30 000 Euro ausmachen. Soll heißen: Ein Spediteur, der sich beispielsweise 2007 fünf Lkw-Züge zum Gesamtpreis von einer halben Million Euro zugelegt hat, kann Schadenersatzansprüche von rund 100 000 Euro geltend machen. Die Hersteller wissen spätestens seit November 2014, dass millionenschwere Strafen auf sie zukommen. Einige hatten bereits Rücklagen gebildet. Die aber werden kaum ausreichen.

Und heute droht den Herstellern die nächste Herausforderung. Dann will die Kommission nämlich neue, "ehrgeizige" Grenzwerte für die schweren Lkw bekannt geben, die sich spätestens ab 2020 an die neuen Normen halten müssen.

Meinung:

Betrug am Verbraucher

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Europas Kartellrecht gilt als eine der großen Stärken dieser Union. Das aktuelle Beispiel zeigt: Außer der Brüsseler Wettbewerbsbehörde kann praktisch niemand EU-weite Preisabsprachen stoppen, für die am Ende die Verbraucher zahlen müssen. Dass die Brummi-Branche die Listenpreise ihrer Lkw-Züge um bis zu 20 Prozent künstlich verteuert hat, ist mehr als nur einfach dreist. Vielmehr wird mit allen Mitteln versucht, den Wettbewerb auszutricksen. Der Binnenmarkt ist aber ohne Wettbewerb und Konkurrenz undenkbar. Mehr noch: Er entfaltet seine Möglichkeiten erst dann, wenn sich alle an die Regeln halten und nicht glauben, ihn für ihre Zwecke außer Kraft setzen zu dürfen. Zugutehalten kann man den LKW-Herstellern nur, dass sie wenigstens geholfen haben, ihre eigenen Vergehen aufzuklären.

Zum Thema:

Hintergrund Die höchsten Kartellstrafen der EU-Kommission:: 1,4 Milliarden Euro mussten Bildschirmhersteller 2012 für ein Bildröhren-Kartell zahlen. 1,19 Milliarden Euro waren für Autoglas-Hersteller fällig, die die Preise von Windschutzscheiben abgesprochen hatten. 953 Millionen Euro Strafe verhängte die EU 2014 bei sechs Autozulieferern für überteuerte Wälzlager. dpa

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