Londons langer Abschied von EU-Behörden

London/Brüssel · Wegen des Brexit werden neue Orte für die Arzneimittelagentur Ema und die Bankenaufsicht Eba gesucht. Ein schwieriges Unterfangen.

Eine graue Wolkendecke hängt über den silbern glänzenden Türmen im Londoner Finanzdistrikt Canary Wharf, wo Großbanken, Institutionen und Dienstleister untergebracht sind. Jeden Tag schlucken die Hochhäuser Zehntausende Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Auch an diesem Freitagvormittag wirkt alles wie immer. Doch in den Hinterzimmern der schicken Büros rumort es seit dem Brexit-Votum der Briten im vergangenen Juni. Auch um die hier gelegenen prestigeträchtigen EU-Institutionen ist ein Wettkampf ausgebrochen. Wo sollen künftig die Europäische Arzneimittelagentur (Ema), um die sich auch das Saarland beworben hatte, und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (Eba) beheimatet sein? Die Institutionen sind begehrt unter den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten.

Allein die Arzneimittelagentur, die neue Medikamente prüft und zulässt sowie bereits auf dem Markt befindliche Mittel überwacht, beschäftigt rund 900 Mitarbeiter. In der Ema-Nachbarschaft haben sich Lobbyisten, Dienstleister und wissenschaftliche Institute angesiedelt, die im milliardenschweren Medikamentengeschäft mitmischen. Und auf das spekuliert Amsterdam. Die niederländische Hauptstadt reichte jetzt offiziell ihre Kandidatur ein. Doch auf dem Schreibtisch von Ratspräsident Donald Tusk häufen sich die Bewerbungen. Auch Stockholm, Dublin, Mailand und Kopenhagen haben ein Auge auf die wertvolle Agentur geworfen. Darüber hinaus hat Barcelona Interesse signalisiert.

Derweil will der britische Brexit-Minister David Davis nicht hinnehmen, dass die beiden EU-Institutionen keineswegs in London bleiben können. Der künftige Standort werde Gegenstand der anstehenden Austrittsverhandlungen sein. Selbst nachdem die Kommission deutlich gemacht hat, dass die Behörden umziehen werden müssen, blieb die britische Regierung bei ihrer Darstellung, wie ein Sprecher des Brexit-Ministeriums bestätigte. Die Sichtweise dürfte für einige Verwunderung bei den Partnern auf dem Kontinent sorgen. Zumal Brüssel sogar schon festgelegt hat, wer den Umzug zu schultern hat: Das Vereinte Königreich solle die Kosten im Zusammenhang mit dem Austrittsprozess "vollständig abdecken", heißt es in einem Hintergrundpapier zu den Verhandlungsleitlinien der 27 Mitgliedstaaten, die kommende Woche bei einem Sondergipfel verabschiedet werden sollen.

Das Problem: Die Mitgliedstaaten müssen den Entschluss durch "eine gemeinsame Vereinbarung" fassen, wie ein Kommissionssprecher sagte. Bei all den Begehrlichkeiten kann das dauern: In Brüssel gilt es als Utopie, dass die Entscheidung bis Anfang Juni, wenn die Brexit-Verhandlungen beginnen sollen, gelingen kann. Hinsichtlich der Europäischen Bankenagentur könnte es dagegen schneller zu einer Lösung kommen. Die Behörde wurde erst 2011 geschaffen - und zwar maßgeblich wegen britischer Bedenken, dass die Bankenaufsicht Nicht-Euro-Länder wie das Königreich benachteiligen könne. In Kommissionskreisen wird bereits über die "Möglichkeit" gesprochen, die Agentur komplett abzuschaffen. Sowohl Paris als auch Frankfurt haben jedoch als Finanzplätze großes Interesse an der Eba bekundet, die derzeit in London rund 170 Mitarbeiter beschäftigt.

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