Streit um Tarifbindung Gewerkschaften fordern Boni für Mitglieder

Berlin · Immer weniger Arbeitnehmer profitieren von Flächentarifverträgen. Der Deutsche Gewerk- schaftsbund macht Druck auf Politik und Wirtschaft.

 Wenn Gewerkschaftsmitglieder über einen Streik Gehaltserhöhungen erstreiten, profitieren gleichermaßen auch alle diejenigen, die nicht der Arbeitnehmerorganisation angehören.

Wenn Gewerkschaftsmitglieder über einen Streik Gehaltserhöhungen erstreiten, profitieren gleichermaßen auch alle diejenigen, die nicht der Arbeitnehmerorganisation angehören.

Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Angesichts des bröckelnden Schutzes von Arbeitnehmern durch Tarifverträge fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Boni für Gewerkschaftsmitglieder. Beschäftigte sollten belohnt werden, wenn sie durch ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zur Tarifbindung beitragen, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann.

Deutschlands Arbeitgeber warnen hingegen vor dem Aus vieler Unternehmen, wenn die zuständigen Gewerkschaften auf Flächentarifverträge bestehen. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, pochte darauf, dass Tarifbindung freiwillig bleibe. „Die Situation ist auch von Branche zu Branche unterschiedlich“, sagte er.

Hoffmann betonte: „Angesichts der allgemeinen Verunsicherung von Arbeitnehmern und den Menschen in Deutschland insgesamt ist es höchste Zeit, endlich mehr Tarifbindung in den Unternehmen zu erreichen.“Wenn in einem Betrieb zum Beispiel 40 Prozent der Mitarbeiter in einer Gewerkschaft organisiert seien, sorgten diese für bessere Bedingungen und höhere Löhne für alle, sagte Hoffmann. Er erinnerte daran, dass Gewerkschaftsmitglieder ein Prozent ihres Bruttolohns als Beitrag zahlen. Der Beitrag ist allerdings von der Steuer absetzbar.

„Mitarbeiter sollten per Tarifvertrag belohnt werden, wenn sie Gewerkschaftsmitglied sind und somit dazu beitragen, dass die Tarifbindung gestärkt und der soziale Frieden erhalten bleiben“, forderte Hoffmann. „Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, dass Gewerkschaftsmitglieder einen Bonus erhalten oder mehr Urlaubstage.“ Die Möglichkeit, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, gehörten ausgeweitet, forderte der DGB-Chef. Betroffen wären Unternehmen, die nicht in einem entsprechenden Arbeitgeberverband ihrer Branche sind. Die Nachwirkung von Tarifverträgen bei Auslagerung von Betriebsteilen in Tochtergesellschaften sollte zudem verlängert werden:

Manche Unternehmen könnten in ihrer Leistungsfähigkeit das hohe Tempo der Tarifentwicklung nicht mehr mitgehen, mahnte hingegen BDA-Chef Kramer. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“ Komme ein unter Druck stehendes Unternehmen mit seiner Gewerkschaft gut zurecht, könne es Tarifverträge abschließen, die den Flächenvertrag ergänzen oder ersetzen. „Das nimmt dramatisch zu.“ Gehe das mit der Gewerkschaft nicht, „dann gehen die Firmen raus aus dem Tarifvertrag, bevor der Laden schließen muss“. Diese Situation werde sich wahrscheinlich in Zukunft verschärfen und mit der Digitalisierung beschleunigen.

Kramer erinnerte an das „Pforzheimer Abkommen“ von 2004, mit dem in der Metall- und Elektroindustrie mehr Gestaltungsoptionen auf betrieblicher Ebene zugelassen worden seien. „Dadurch wurde erstmal der Rückgang aus der Tarifbindung gestoppt.“ Heute brauche es ein neues Abkommen dieser Art und neue Öffnungsklauseln. „Wir müssen neue Lösungsansätze entwickeln und Unternehmen die Möglichkeit geben, im Tarifvertrag zu bleiben.“ Es müsse ein Ventil geben, wo der Überdruck abgelassen werden könne. „Dann kann es wieder zu einer Stabilisierung der Tarifverträge kommen.“

Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von 2018 profitieren immer weniger Beschäftigte in Deutschland von Flächentarifverträgen. Wurden etwa 1996 noch 70 Prozent aller westdeutschen Beschäftigten nach Branchentarifverträgen entlohnt, so waren es demnach 2017 nur noch 49 Prozent. Im Osten sank der Anteil in dem Zeitraum von 56 auf 34 Prozent.

Ein Grund ist laut der Studie, dass es etwa im Dienstleistungssektor immer mehr kleinere Betriebe gibt, in denen Gewerkschaften und Tarifverträge keine große Rolle spielen. Im Vergleich zum Jahr 2016 verringerte sich der Anteil der Beschäftigten, deren Einkommen und Arbeitsbedingungen mit einem Branchentarifvertrag geregelt sind, sowohl in Ost- als auch Westdeutschland jeweils um zwei Prozentpunkte. Viele Betriebe regelten Löhne und Gehälter aber betriebsintern auf der Basis von Haustarifverträgen.

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