Europa-Gipfel EU will bei Gipfel ihre sozialen Standards festschreiben

Brüssel · Von Detlef Drewes

Dass die Bundeskanzlerin einem EU-Gipfeltreffen fernbleibt, hat es auch noch nicht gegeben. Doch wegen der Sondierungsgespräche in Berlin hat Angela Merkel ihre Reise zum Sozialgipfel der EU am heutigen Freitag im schwedischen Göteborg abgesagt, aber dennoch bereits zugestimmt.

Deutschland will schließlich nicht schweigen, wenn sich die Mitgliedstaaten der Euro-Zone sowie weitere Freiwillige auf die sozialen Grundwerte der Gemeinschaft verständigen – 20 Jahre nach dem letzten europäischen Spitzentreffen zur sozialen Frage. „Das wird ein starkes Signal für die Menschen sein“, betonte Brüssels zuständige Kommissarin Marianne Thyssen vorab.

Es geht in 20 Kapiteln um angemessene Mindestlöhne, Chancengleichheit, gleiche Einkommen für gleiche Arbeit von Mann und Frau, um den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und soziale Grundrechte auf einem Binnenmarkt, der auf Wettbewerb ausgerichtet ist. „Europäische Säule Sozialer Rechte“ (ESSR) nennt sich das Konstrukt, in dem der einschlägige Rechtsbestand der Union zusammengefasst wird.

Wie nötig dieser Akzent ist, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung, die gestern vorgelegt wurde. Demnach geht es zwar für 26 der 28 EU-Länder am Arbeitsmarkt aufwärts. „Mehr als zwei Drittel der erwerbsfähigen EU-Bürger haben mittlerweile einen Job“, heißt es in dem Papier. 2016 lag die EU-Quote der Arbeitslosen bei 8,7 Prozent, ein Jahr zuvor waren es noch 9,4 Prozent. Doch die regionalen Unterschiede sind erheblich: Während beim Spitzenreiter Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit 2016 bei lediglich 7,1 Prozent lag, kam Schlusslicht Griechenland auf immerhin 47,3 Prozent. Auch das ist übrigens ein Erfolg. 2013 waren noch 58,3 Prozent der bis 24-jährigen Hellenen ohne Job.

Im Bertelsmann Sozial-Index aller erfassten Bereiche rangieren die skandinavischen Länder sowie Tschechien, Slowenien und die Niederlande vor Deutschland. Am Ende des Rankings liegt Griechenland hinter Rumänien, Bulgarien und Italien. Das Risiko, durch Armut und Perspektivlosigkeit von Bildung sowie Gesundheit und Generationengerechtigkeit abgekoppelt zu werden, ist im Süden größer als im Westen, Osten oder Norden der Gemeinschaft.

Ob dieser Trend mit ESSR verbessert werden kann, bezweifeln Kritiker. Denn die Erklärung des Sozialgipfels habe keinen bindenden Charakter, mehr als ein Anknüpfungspunkt für weitere Initiativen sei nicht zustandegekommen, schrieb die Internationale Gesellschaft für Politik und Gesellschaft in einer Stellungnahme. „Blutarm“, nannte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Europa-Fraktion, Jutta Steinruck, die Zusagen.

Tatsächlich muss auf die feierliche Zeremonie in Göteborg der gesetzgeberische Alltag in Brüssel folgen. Die EU-Kommission soll konkrete Vorgaben erarbeiten, die dann von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Doch genau da fangen die Schwierigkeiten erst an: Sozialpolitik gehört zur Hoheit der nationalen Regierungen, die sich da bisher auch nicht hineinpfuschen lassen. Für ambitionierte sozialpolitische Vorstöße auf der europäischen Ebene fehlt damit eines der wichtigen Instrumente: die Kompetenz der EU-Kommission, Gesetze für diese Bereiche erlassen und durchsetzen zu können.

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