Neue Ideen für das Saarland Das Saarland als Aushängeschild in Sachen Arbeitszeiten?

Saarbrücken · Der neue IHK-Präsident will mit super-flexiblen Arbeitszeiten Menschen in die Region locken. Er schämt sich für die Saarlandhalle.

 IHK-Präsident Hanno Dornseifer wünscht sich ein moderneres Image für das Saarland. Daran müssten alle in Region mitarbeiten. Zu diesem Image gehörten im digitalen Zeitalter deutlich flexiblere Arbeitszeiten und ein besseres Kulturangebot.

IHK-Präsident Hanno Dornseifer wünscht sich ein moderneres Image für das Saarland. Daran müssten alle in Region mitarbeiten. Zu diesem Image gehörten im digitalen Zeitalter deutlich flexiblere Arbeitszeiten und ein besseres Kulturangebot.

Foto: dpa/Armin Weigel

Der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes, Hanno Dornseifer, will das Saarland zu einem Aushängeschild in Sachen Arbeitszeiten machen. Nur so könne man Fachkräfte und junge Menschen erreichen. Auch kulturell müsse das Land mehr bieten.

Was macht es heute für junge Menschen interessant, sich für etwas zu engagieren? Vereine haben es immer schwerer, Nachwuchs zu finden, ehrenamtliches Engagement scheint in Zeiten des Individualismus auch nicht gerade sexy zu sein.

DORNSEIFER Erst einmal muss heute die Balance zwischen dem Beruf sowie der Familie und der Freizeit stimmen. Die Prioritäten haben sich verlagert und das ist heute auch das wichtigste Argument in Bewerbungsgesprächen, nicht mehr das Geld. Es wäre schon ein Erfolg, wenn sich im Saarland mehr Entscheider auf allen Ebenen ehrenamtlich für die Weiterentwicklung unserer Heimat engagieren. Mit dieser Haltung könnten wir jungen Menschen zeigen, dass die Übernahme von sozialer Verantwortung für das Land Teil eines  ausgefüllten Lebens eines Menschen ist. Ich stehe dazu.

Lohnt sich Leistung heute überhaupt?

DORNSEIFER Das ist für mich keine Frage des Geldes, sondern Sinn des Lebens. Ich könnte mir nicht vorstellen, nur am Strand zu liegen und alt zu werden. Da werden Sie doch wahnsinnig. Leistung ist für mich etwas, was Spaß macht.

Es gibt aber auch andere Vorstellungen aus der Politik, etwa das bedingungslose Grundeinkommen.  Mit der Forderung nach Leistung erreichen Sie heute viele nicht mehr.

DORNSEIFER Wenn man ehrlich ist, gibt es derzeit viele Menschen, die außerhalb unserer Gesellschaft stehen. Die erreicht man aber nicht mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, sondern man muss ihnen wieder ein Selbstwertgefühl geben, eine Arbeit, mit der sie sich identifizieren. Menschen, die arbeitslos werden, haben nicht nur das Problem, dass ihnen Geld fehlt, nein, es fehlt ihnen auch ein großes Stück Selbstwertgefühl. Wer keine Aufgabe hat, fühlt sich nicht mehr als Bestandteil dieser Gesellschaft. Durch Arbeit und Leistung ist man Bestandteil dieser Gesellschaft.

Die Arbeitswelt verändert sich mit nie gekannter Geschwindigkeit. Die Digitalisierung verändert alles. Was ist die Antwort darauf?

DORNSEIFER Die Arbeitsabläufe und vor allem auch die Arbeitsatmosphäre werden eine völlig andere. Denn auch die Jugend von heute formuliert völlig andere Ansprüche an Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten. Darauf müssen wir im Saarland besonders schnell reagieren und auch mit den Gewerkschaften reden.

Was meinen Sie?

DORNSEIFER Wir müssen die jungen Menschen an eine Arbeitswelt heranführen, in der sie sich wohlfühlen. Sonst bekommen wir nicht mehr die hochmotivierten Mitarbeiter, die wir gerade im Digitalzeitalter brauchen. Viele wollen erst um 12 Uhr arbeiten oder auch in der Nacht. Andere gehen lieber bei gutem Wetter ins Schwimmbad und kommen dafür gerne früher oder am späten Nachmittag zur Arbeit. Mit der Pflichtpräsenz am Schreibtisch von 9 bis 16 Uhr muss Schluss sein. Und auch Zeiterfassungssysteme haben ausgedient. Unternehmen machen heute das Rennen, die eine Kontrollmentalität durch eine Vertrauensmentalität ersetzen. Vertrauen ist die Ressource der Zukunft. Dort wollen diejenigen arbeiten, die etwas Besonderes zu bieten haben. Diese Flexibilität muss sich auch in Tarifverträgen wiederfinden.

Sie wollen sich als Präsident der Industrie- und Handelskammer die Zuständigkeit für Themen stärker mit ihren Kollegen im Präsidium teilen. Dennoch wird es sicher einen Schwerpunkt geben, der Ihre Handschrift tragen wird?

DORNSEIFER Das wird das Thema Infrastruktur sein.

Da haben Sie sich ein Thema ausgesucht, das an vielen Stellen Grund zur Sorge bietet.

DORNSEIFER Allerdings. So muss die Anzahl der Hochgeschwindigkeitsverbindungen der Bahn nach Paris weiter erhöht werden. Die Zahl der Nutzer steigt ständig. Das Gleiche gilt für schnellere Zugverbindungen nach Metz mit Anschluss an zusätzliche Hochgeschwindigkeitszüge nach Paris und Luxemburg. Dort erreicht man auch Schnellzüge nach Brüssel, wo heute die wichtigsten Entscheidungen für Europa fallen. Aus unserer Region Brüssel erreichen zu wollen, ist ein Trauerspiel. Und ich kann doch als Saarländer nicht eine Frankreich-Strategie ernst nehmen, wenn wir Frankreich nicht wirklich erschließen. Wir müssen auch verkehrspolitisch die deutsch-französische Achse stärken. Die Flugverbindungen ab Saarbrücken sind ebenfalls bescheiden. Man kommt als Geschäftsreisender heute kaum weg und auch kaum irgendwohin.

In welchen Bereichen muss das Saarland in den nächsten Jahren investieren?

Dornseifer In die Schulen und Hochschulen. Das ist existenziell für die Zukunft der Region und stärkt auch den Wirtschaftsstandort, weil die Unternehmen dann hoch qualifiziertes Fachpersonal finden. Im Bereich der Informationstechnologie (IT) ist das bereits gelungen. Aber es gibt noch viele andere Fachbereiche an der Uni und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), die für die Wirtschaft interessant sind, etwa Ingenieur- und Materialwissenschaften.

Muss sich das Land entscheiden zwischen einer Spitzenuniversität mit klarem Schwerpunkt oder einer allgemeinen Ausrichtung, dann aber auch mit der Gefahr, in vielem Mittelmaß zu sein?

DORNSEIFER Wir brauchen eine Kombination aus Spitze und breit aufgestellter Universität. Ich bin fern davon, jetzt schon entscheiden zu können, welche Fakultät wir in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren brauchen. Wer weiß das schon? Wir sollten nicht den Fehler machen, etwas abzustoßen, was wir vielleicht in einigen Jahren noch brauchen werden. Ich bin für ein breites Ausbildungsangebot sowie Spitzenforschung in Form von Leuchttürmen.

Viele Investitionen sind auch umstritten. Wo üben Sie Kritik?

DORNSEIFER Ich finde die Art und Weise, wie künftig die Kindertagesstätten finanziert werden, nicht hilfreich. Aus der Sicht eines Sozialpolitikers kann ich es verstehen, wenn Gebühren erlassen werden. Aber wäre es nicht hilfreicher gewesen, Geld in moderne Kitas und die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher zu investieren? Die haben doch die zahlreichen Veränderungen durch die Digitalisierung und neue Technologien nicht auf dem Schirm. Wie denn auch? Aber das ist der Grundstein dafür, dass schon Kleinstkinder in der Wiege mit dieser Entwicklung groß werden. Wir müssen früh den verantwortungsvollen Umgang mit modernen Medien und ihren Möglichkeiten vermitteln. Dann sind wir im Saarland hoch innovativ und auch als Wirtschaftsstandort noch interessanter.

Das Land will nach Aussage der Regierung in der Digitalisierung ganz weit vorne sein im Vergleich zu anderen Bundesländern. Was kann man Kindern im Kindergarten, in der Schule und Menschen in der Ausbildung oder im Studium an digitalem Wissen vermitteln?

DORNSEIFER Für Kinder in Kitas und in Schulen gibt es schon einfach zu bedienende Kindercomputer, die an die neue Welt der IT mit ihren Möglichkeiten heranführt. Insofern begrüßen wir die vorbildliche Initiative im Saarland. Kinder müssen ganz natürlich mit dieser Technologie groß werden. Dann werden wir auch mit Sicherheit die Früchte ernten in Form gut vorbereiteter junger Menschen, die Spaß haben, im Saarland zu leben und hier auch einen Beruf zu erlernen.

Wie soll Digitalisierung in der Schule aussehen? Brauchen wir ein eigenes Schulfach mit neuesten Erkenntnissen?

DORNSEIFER Meiner persönlichen Meinung nach müssen wir ein Fach Digitalisierung einführen. Dieses Thema wird nicht ausreichend vermittelt, obwohl es für jeden für uns heute existenziell ist. So gut wie nichts funktioniert mehr ohne Kompetenz in diesem Bereich. Die Überlegungen müssen aber noch weiter gehen. In Nordrhein-Westfalen hat man im neuen Koalitionsvertrag ein Ministerium für Digitalisierung festgelegt. Das wäre auch bei uns nicht schlecht. Man muss aber sehen, wie man die Zuständigkeit organisiert, ohne höhere Kosten zu fabrizieren. Wenn man sich nicht auf ein eigenes Ministerium festlegen will, dann könnte dieser Bereich an ein vorhandenes Ministerium angehängt werden.

Es ist schwer, Fachkräfte mit ihren Familien an die Saar zu locken. Häufig entscheidet die Partnerin am Ende und auch die Qualität des Freizeit- und Kulturangebotes gibt den Ausschlag. Wie beurteilen Sie das Kulturangebot im Saarland?

DORNSEIFER Wir haben schon einiges zu bieten, sei es im Bereich Theater oder Film, an erster Stelle wäre das Max-Ophüls-Festival zu nennen. Aber im Bereich von Pop- und Rockkonzerten ist das Angebot schlecht. Wer kommt denn noch zu uns? Früher konnte ich hier legendäre Open-Air-Konzerte und Touren erleben mit Stars wie Genesis, Frank Zappa, Queen, Tina Turner, Grönemeyer und anderen. Ich war immer am Start. Davon ist überhaupt nichts übrig. Ich fahre auch heute zu Konzerten und verbinde das mit Wochenenden in Metropolen, wo das noch geboten wird: München, Köln, Mannheim, Berlin. Im Saarland haben wir fast nichts mehr.

Woran liegt es?

DORNSEIFER Schauen Sie sich die Saarlandhalle an. Da vergeht einem die Lust. Völlig veraltete Struktur, enge Sitzmöglichkeiten, keine Beinfreiheit, keine Spur von Eventcharakter und nur ein Bierstand offen wie beim letzten Konzert „30 Jahre Bap“. Die Leute standen für ein Bier bis zum Halleneingang. Zum Abgewöhnen. Musik hören ist heute ein Event, zu dem auch Essen, Trinken und Feiern gehören. Das können Sie in vielen Event-Hallen bundesweit erleben, aber nicht in Saarbrücken. Selbst der Saarländische Rundfunk präsentiert seine Konzerte mittlerweile lieber in der Rockhal in Luxemburg. Als Saarländer finde ich das nicht gut.

Also brauchen wir doch eine neue Eventhalle für Konzerte und andere Veranstaltungen? Das Land wird argumentieren, es sei kein Geld da, weil gespart werden muss.

DORNSEIFER Man muss sparen,  aber auch Prioritäten in den Investitionen setzen, wenn man modern sein und als Standort ernst genommen werden will. Wir haben schon zahlreiche junge Leute an der Universität, an der HTW und an zahlreichen anderen Einrichtungen. Die wollen nicht stundenlang im Auto- oder Zug sitzen, um gute Musik hören zu können. Immerhin sind wir noch Landeshauptstadt und ein eigenständiges Bundesland. Aber wir müssen mehr bieten.

Mit der bundesweiten Imagekampagne macht das Land ja auch Werbung, um Fach- und Führungskräfte sowie mehr junge Leute und Familien in unsere Region zu locken. Was fasziniert Sie selbst am Saarland?

 Die Saarlandhalle ist nach Ansicht von Hanno Dornseifer zum Abgewöhnen. Zu einer modernen Region gehöre auch eine neue Halle.

Die Saarlandhalle ist nach Ansicht von Hanno Dornseifer zum Abgewöhnen. Zu einer modernen Region gehöre auch eine neue Halle.

Foto: BeckerBredel

DORNSEIFER Zunächst werde ich mich dafür einsetzen, dass die Imagekampagne fortgesetzt wird. Ein Image verändern Sie nicht innerhalb von wenigen Jahren. Ich kann hier im Saarland alles machen, was mir Spaß macht. Ich kann auf kürzesten Wegen Sport treiben, auf kleinstem Raum bei größter Qualität. Ob Schwimmen, Golf spielen oder Fahrrad fahren. Ich steige in Homburg aufs Fahrrad und kann ohne Verkehr bis Frankreich fahren. Das können Sie in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder in München lange suchen. Ich bin in kürzester Zeit raus aus dem Alltag und mitten in der Freizeit. Ich kann im Saarland viele Menschen kennenlernen und bei zwei, drei Bier über vieles reden. Ich glaube, in den großen Metropolen würde mir das nicht gelingen. Ich fühle mich zwar in Großstädten wohl, aber ich könnte dort nicht leben. Und die Kulinarik ist bei uns so gut ausgeprägt wie wohl in keiner anderen Region Deutschlands. Ich koche auch sehr gerne. Hier in der Region komme ich doch an Nahrungsmittel ran, die ich anderswo nicht finde. Ich fahre über die Grenze und genieße Lebensmittel unseres Nachbarn Frankreich. Das ist doch wunderbar. Das ist Lebensqualität. Deswegen sage ich: Kommt her zu uns. Und es ist doch so: Viele, die schon beruflich zu uns gekommen sind, bleiben sehr häufig bei uns. Zu Recht!

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