Karlsruhe Die Niedrigzinsphase trifft die Versicherten

Karlsruhe · Der BGH urteilt, dass Versicherer die niedrigen Zinsen an langjährige Kunden weitergeben dürfen. Auch wenn früher die Rendite höher war.

 Lebensversicherungen sind zur Generationensolidarität verpflichtet, sagt der BGH.

Lebensversicherungen sind zur Generationensolidarität verpflichtet, sagt der BGH.

Foto: dpa-tmn/Jens Büttner

Verbraucher, deren Lebensversicherung in der aktuellen Niedrigzinsphase endet, müssen sich mit weniger Geld zufriedengeben – damit für die anderen Kunden genug übrig bleibt. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gestern entschieden. Eine entsprechende Neuregelung sei verfassungsgemäß. Danach dürfen Versicherer in wirtschaftlich schwieriger Lage ausscheidende Kunden nicht mehr so üppig wie früher an ihren Kursgewinnen aus festverzinslichen Wertpapieren beteiligen. (Az. IV ZR 201/17)

Die Problematik betrifft alle Menschen, die mit einer Lebensversicherung zusätzlich fürs Alter vorsorgen. Wie viele Kunden die Kürzungen treffen, lässt sich nicht verlässlich sagen. Laut Bundesfinanzministerium enden pro Jahr etwa sieben  Prozent aller Verträge.

Hintergrund sind die anhaltend niedrigen Zinsen. In der Vergangenheit haben die Versicherer ihren Kunden auf lange Sicht gute Zinssätze garantiert. Nun haben sie Schwierigkeiten, diese Zusagen einzuhalten. Denn wenn sie das Geld ihrer Kunden jetzt am Kapitalmarkt anlegen, bringt das nicht mehr so hohe Gewinne wie früher.

Ein Stabilitätsanker sind in dieser Situation ältere, höher verzinste Staatsanleihen in den Büchern, die immer noch guten Gewinn abwerfen. Ausscheidenden Versicherten steht eine Beteiligung an diesen sogenannten Bewertungsreserven zu, denn die Gewinne wurden mit ihrem Geld erwirtschaftet. Das Problem: Um ihren Anteil auszahlen zu können, müssen die Unternehmen die Anleihen am Markt zu Geld machen – allerdings zum Nachteil aller Versicherten mit neueren Verträgen, die noch länger auf eine solide finanzielle Aufstellung angewiesen sind.

Der Gesetzgeber hat diese Ausschüttungen deshalb 2014 gedeckelt. Seither dürfen Alt-Kunden bei Vertragsende nur noch so viel bekommen, dass die Garantiezusagen für alle übrigen Versicherten nicht gefährdet sind. Die Gewinne aus Immobilienanlagen und Aktiengeschäften werden nicht gekappt. Die Beteiligung an den Bewertungsreserven ist auch nur eine Komponente der Gesamtverzinsung – neben Garantiezins, laufendem Zinsüberschuss und Schlussüberschuss.

Der Kunde, dessen Fall in Karlsruhe verhandelt wurde, hatte beispielsweise wegen der Reform anstelle der einmal in Aussicht gestellten 2821,35 Euro nur 148,95 Euro aus den Bewertungsreserven erhalten. Insgesamt bekam er etwa 47 600 Euro statt 50 275 Euro.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber damit seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, auch wenn die Neuregelung einzelne Kunden möglicherweise hart treffe. Es seien die Interessen der älteren wie die der neueren Versicherungskunden berücksichtigt worden, sagte die Vorsitzende Richterin Barbara Mayen.

Der Bund der Versicherten (BdV), der vergeblich gegen die Einschnitte geklagt hat, will nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. „Wir sehen in dem Gesetz eine klare Enteignung der Versicherten“, sagte Vorstandssprecher Axel Kleinlein in Karlsruhe. „Die Unternehmen haben mit zu hohen Zinsen kalkuliert, und wie jeder ehrbare Kaufmann sollten sie jetzt auch selber dafür geradestehen.“

Die Verbraucherzentrale Bremen nannte das Urteil einen „Rückschlag für alle Versicherungskunden“. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßte jedoch die Entscheidung des Gerichts.

In einer anderen Frage ist das Urteil für den BdV trotzdem ein Erfolg. Im Fall des betroffenen Versicherten, eines Kunden der zum Ergo-Konzern gehörenden Victoria Lebensversicherung, hatte sich das Landgericht Düsseldorf in der Vorinstanz nicht angeschaut, ob die Kürzungen durch die wirtschaftliche Situation des Unternehmens tatsächlich gerechtfertigt waren. Das muss nun nachgeholt werden.

Kleinlein äußerte die Hoffnung, dass im weiteren Verfahren entschieden wird, dass die Kunden insgesamt mehr Anspruch auf transparente Informationen haben. Die Frage, wie weit dieser Anspruch geht, könnte dann möglicherweise erneut den BGH erreichen.

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