Saar-Wirtschaft Jahresrückblick 2017 Der massive Wandel der Saarindustrie

Saarbrücken · Kohlekraftwerke werden im Zuge der Energiewende unrentabel, die Autoindustrie wartet auf die E-Mobilität: Auf die Saar-Wirtschaft kommen große Aufgaben zu.

 Windräder auf dem Saargau bei Wehingen. Der Windkraft-Zubau im Saarland ist ins Stocken geraten.

Windräder auf dem Saargau bei Wehingen. Der Windkraft-Zubau im Saarland ist ins Stocken geraten.

Foto: Ruppenthal

Vor und zurück, zurück und vor – und irgendwie weiter. In der Debatte über den Kampf gegen den Klimawandel, über die Energiewende und die Zukunft des Autos konkurrieren allerlei Vorschläge und streiten sich Befürworter, Bremser und Gegner. Will heißen, die Lage ist kompliziert. Die Folge: Es will nicht recht vorangehen mit dem klimaschonenden, umweltgerechten Wirtschaften und Leben. So bescheinigte das Prognos-Institut, dass in Deutschland der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids trotz milliardenschwerer Zuschüsse für erneuerbare Energien nicht sinke und der Verbrauch steige. Doch der Umbruch ist im Gange. Kohle und Erdöl, die lange unbestrittenen Schmierstoffe der Wirtschaft, werden zunehmend infrage gestellt. Diese Entwicklung ist auch im Saarland zu spüren.

Einst waren die Kohlekraftwerke der Stolz des Energielands Saarland. Inzwischen hat sich das Blatt wegen des bundesweiten mit Milliardenbeträgen geförderten Ausbaus von Wind- und Solarstrom-Anlagen gewendet. Hoher Preisdruck macht die klassischen Großkraftwerke unrentabel. Die Stromunternehmen reagieren mit Rückzug. Die Kohlekraftwerke in Bexbach und Quierschied-Weiher sind nicht mehr im regulären Betrieb, sondern werden vom Energiekonzern Steag nur noch für Notfälle bereitgehalten – zunächst bis 2019. Eine komplette Schließung, wie sie die Essener Steag plante, hatte die Bundesnetzagentur nicht erlaubt. Ob beim Kohlekraftwerk Ensdorf genauso entschieden wird, ist noch offen. Die beiden Kraftwerksblöcke dort haben jedenfalls kurz vor Weihnachten den letzten Strom geliefert und stehen nun still. Der Energie-Versorger VSE hatte die Schließung im Juni angekündigt, nachdem Saarstahl und Saarschmiede ihren Pachtvertrag gekündigt hatten. Dadurch gingen in Ensdorf 100 Jobs verloren. Regulär wird im Saarland Kohle nur noch in Völklingen-Fenne und an der Saarbrücker Römerbrücke zur Strom- und Wärmegewinnung verfeuert.

Die erneuerbaren Energien gleichen den Wegfall der Kohlemeiler aber bei weitem nicht aus. Der Ausbau geht zwar voran, aber sicherlich langsamer, als Energiewende-Befürworter erwarten. Im Bundesländervergleich rutschte das Saarland vom vorletzten auf den letzten Platz, wie eine Studie der Agentur für erneuerbare Energien ergab. Besserung ist nicht zu erwarten. In diesem Jahr wurden nach Angaben des Saar-Wirtschaftsministeriums zwar bis Oktober 24 Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 73 Megawatt in Betrieb genommen – so viel wie nie zuvor. Auch zwei große Solaranlagen mit zusammen mehr als elf Megawatt gingen neu ans Netz. Doch der weitere Zubau stockt. Das liegt nur zum kleinen Teil am gewachsenen Bürger-Widerstand gegen Windräder und neue gesetzliche Einschränkungen für solche Anlagen im Saar-Forst. Erschwert wird der Ausbau der regenerativen Energien im Saarland vor allem durch eine bundesweite Neuregelung, wonach größere Projekte an einem deutschlandweiten Ausschreibungsverfahren teilnehmen müssen. Wer am wenigsten Zuschüsse braucht, bekommt den Zuschlag. Wind-Standorte in Norddeutschland haben dabei natürliche Vorteile. In diesem Jahr erhielt kein Projekt aus dem Saarland den Zuschlag, es gab aber auch keine Bewerbung, weder für Windräder noch für ein Solarkraftwerk. Außerdem wurde in diesem Jahr laut Ministerium bislang kein Windprojekt genehmigt und eines abgelehnt, zwölf Anträge sind demnach noch in der Bearbeitung. Die Landesregierung hält trotzdem an ihrem Ziel fest, 20 Prozent des Stromverbrauchs im Land bis 2020 aus erneuerbaren Energien zu gewinnen.

Wie beim Strom steckt auch die Auto-Welt in einem Umbruch. Der VW-Dieselskandal und der Streit um Fahrverbote für ältere Diesel-Autos haben die Kauflust der Verbraucher stark gedämpft. Daran änderten auch Diesel-Gipfel nichts. Darüber hinaus läuft eine hitzige Debatte über den Verbrennungsmotor überhaupt, egal ob Benziner oder Diesel. Experten sehen ihn als Auslaufmodell. Die Grünen fordern gar ein Verbot für die Zulassung neuer Autos mit klassischem Verbrennungsmotor ab 2030. Viele Autokäufer scheren sich um die ganze Diskussion wenig. Der Trend zu großvolumigen, spritfressenden SUV geht weiter.

Die Elektroautos, die propagierte Alternative zu den Diesel und Benzinern, bleiben trotz großzügiger Kaufprämien Ladenhüter. Die Gründe der Verbraucher: zu geringe Reichweite, zu teuer in der Anschaffung, zu schmale Auswahl an E-Auto-Modellen, ein zu kleines Netz an Ladesäulen. Trotzdem rechnen Branchenkenner mit einem radikalen Umbruch durch Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung der Autos. Die Autobauer und ihre Zulieferer stecken in einem Dilemma. Einerseits wird das Geld noch vor allem mit klassischen Benzin- und Dieselfahrzeugen verdient. Andererseits muss jetzt in Elektromobilität investieren, wer dabei sein will, wenn E-Autos millionenfachen Absatz finden. Erschwerend kommt hinzu, dass ein E-Auto aus viel weniger Teilen besteht als ein konventionell angetriebenes Fahrzeug. Wer bei den Zulieferern nicht auf der Strecke bleiben will, braucht weitere Produkte und Märkte.

 Malerisch spiegelt sich das Kraftwerk Ensdorf in der Saar. Vergangene Woche war dort letzte Schicht.

Malerisch spiegelt sich das Kraftwerk Ensdorf in der Saar. Vergangene Woche war dort letzte Schicht.

Foto: rup
 Der Getriebebauer ZF in Saarbrücken steht im Dilemma: Produktion für bewährte  Verbrenner-Technik und Forschung für die E-Mobilität.  

Der Getriebebauer ZF in Saarbrücken steht im Dilemma: Produktion für bewährte  Verbrenner-Technik und Forschung für die E-Mobilität.  

Foto: BeckerBredel/bub

Die Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze könnte enorm sein. In der deutschen Autoindustrie arbeiten zurzeit mehr als 800 000 Menschen. Die Schätzungen, wie viele Jobs dort im  E-Mobil-Zeitalter wegfallen könnten, gehen weit auseinander. Manche Experten sprechen von bis zu 100 000.  Im Saarland treiben solche Szenarien Unternehmen, Politik und Gewerkschaften um, hängen hierzulande doch mehr als 40 000 Arbeitsplätze von der Auto-Branche ab. Wie berechtigt die Sorgen sind, zeigt die aktuelle „Zukunftsstudie Autoland Saarland“. Der Untersuchung zufolge ist die hiesige Autoindustrie stark, wo die Aussichten schwach sind, und schwach, wo die Aussichten stark sind. Konkret heißt das: Am Weltmarkt punktet die Saar-Industrie vor allem mit Motor-Komponenten, Getrieben und Abgas-Systemen, die nach und nach durch die E-Technik verdrängt werden. Bei der Ladetechnik, elektrischen Maschinen, Leistungselektronik oder Sensorik, also den Zukunftsfeldern, sind die Unternehmen hierzulande zurzeit eher schwach aufgestellt. ZF, Bosch, Eberspächer und Co. denken daher intensiv darüber nach, wie es mit ihren saarländischen Standorten weitergeht, wenn die konventionelle Auto-Technik immer weniger gefragt ist. Die Studie sieht aber auch Chancen: wegen der hochmodernen Produktionstechnik und der starken Grundlagenforschung. Da und dort hat die Zukunft auch schon begonnen. Der St. Ingberter Zulieferer Voit wird ab Frühjahr Teile für Hybrid- und E-Autos von Audi liefern.

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