Reform der Mehrwertsteuer Brüssel will mehr Steuerermäßigungen erlauben

Brüssel · Die EU arbeitet an einem neuen System der Umsatzsteuer. Die Reformpläne sehen noch mehr Extra-Regelungen vor als bisher.

Warum ein Antennenkabel für den Fernseher im heimischen Rundfunkmarkt mit 19 Prozent Umsatzsteuer belegt wird, beim Online-Händler aus der EU-Nachbarschaft ohne Zuschlag deutlich billiger zu haben ist, versteht ohnehin kaum jemand. Nun will die EU das Mehrwertsteuer-Durcheinander in der Union anpacken, indem sie noch mehr Flexibilität erlaubt.

Rund fünf Milliarden Euro entgehen den Mitgliedstaaten derzeit durch nicht abgeführte Mehrwertsteuer. In zwei Jahren dürften es bereits sieben Milliarden sein. Gestern legte die Brüsseler EU-Kommission deshalb einen neuen Vorschlag zur Reform der Umsatzsteuer in der  Staatengemeinschaft vor. Wichtigstes Ziel: Der Online-Handel soll einbezogen werden, um den Wettbewerb mit den „stationären“ Geschäften fair zu machen. Und außerdem will die Kommission kleine und mittelständische Betriebe von deutlich überhöhten Verwaltungskosten entlasten.

Doch der gewählte Weg ist umstritten. Denn anstatt die Mehrwertsteuer strikter anzugleichen, schlug die Verwaltung der Union gestern vor, den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität zu erlauben. Neben dem nationalen Regelsatz (in Deutschland 19 Prozent) und einem ermäßigten Steuersatz (hierzulande derzeit sieben Prozent) dürfen die Finanzminister bald noch eine Billigklasse von bis zu fünf Prozent einführen. Auch eine völlige Befreiung ist möglich. „Damit droht ein Wildwuchs“, kritisierte der Finanzpolitiker der Grünen-Europa-Fraktion, Sven Giegold. „Die Vermehrung nationaler Extrawürste widerspricht der Idee des Binnenmarktes.“

Dennoch sieht er auch die Fortschritte im Vorschlag der Kommission. So werden ab 2021 alle Kleinstlieferungen aus einem Nicht-EU-Land mit einem Wert von bis zu 22 Euro mit Mehrwertsteuer belegt. Genauso wie die großen Anbieter müssen die Verkäufer dann die Lieferadresse notieren, weil die eingezogene Umsatzsteuer später an die Mitgliedstaaten ausgezahlt wird. Kleinere Unternehmen, die weniger als 10 000 Euro im grenzüberschreitenden Handel erwirtschaften, zahlen ihre Zuschläge an das eigene Finanzamt. Sie brauchen keine aufwändige Verteilung der Gelder an die Finanzämter der Käufer vorzunehmen. In Einzelfällen würden sich Einsparungen bei den Verwaltungskosten bis zu 95 Prozent im Vergleich zu heute ergeben, heißt es bei der Kommission.

Anstelle der bisherigen Liste von Gütern und Dienstleistungen, für die ein ermäßigter Steuersatz erlaubt ist, soll es eine Aufstellung der Produkte geben, für die keine Reduzierung der Umsatzsteuer erlaubt ist. Dazu zählen zum Beispiel Waffen, alkoholische Getränke, Glücksspiel und Tabak.

Ob das aber zu einer Angleichung der rund 250 ermäßigten Steuersätze führt, die die Mitgliedstaten eingeführt haben, bezweifeln viele Beobachter. Zwar müssen die Mitgliedstaaten auch künftig eine landesspezifische Steuer an den zentralen Ausschuss des EU-Kommission melden. Dort wird aber nur registriert und nicht korrigiert. Denn schließlich liegt die Steuerpolitik bei den Mitgliedstaaten. Brüssel darf zwar Vorschläge machen, muss sich aber dem Votum der Finanzminister beugen.

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