Wirtschaft bleibt auf Wachstumskurs

Trotz der schwachen Weltkonjunktur sind die Wirtschaftsaussichten in Deutschland weiter rosig. Um 1,7 Prozent soll das Bruttosozialprodukt in diesem Jahr zulegen. Darauf hat sich die Bundesregierung in ihrem gestern vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht festgelegt. Gleichwohl ist der zuständige Ressortchef und Vizekanzler, Sigmar Gabriel (SPD), unzufrieden. Nachfolgend die wichtigsten Details und Hintergründe der Prognose – in Frage-Antwort-Form von SZ-Korrespondent Stefan Vetter.

Wo ist das Problem?

Noch im vergangenen Herbst hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für 2016 mit einem Wachstum von 1,8 Prozent gerechnet. Die aktuelle Prognose liegt leicht darunter und entspricht dem Vorjahresniveau. Auch deshalb die Unzufriedenheit. Angesichts extrem niedriger Ölpreise und Zinsen sowie eines schwachen Euro müsste die Wirtschaft eigentlich besser in Fahrt kommen, meinte Gabriel. Deshalb setzt er verstärkt auf staatliche Investitionen, besonders im digitalen Bereich wie etwa dem Breitbandausbau.

Sind neue Schulden geplant?

Nein. Die "schwarze Null", also ein Haushalt ohne neue Kredite, steht für den Wirtschaftsminister nicht zur Disposition. Die Staatsverschuldung soll sogar weiter sinken. Laut Jahreswirtschaftsbericht hat der Staatshaushalt 2015 wegen der guten ökonomischen Lage einen Überschuss von 0,5 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt erzielt. Vor zwei Jahren lag die Schuldenstandsquote Deutschlands noch bei 74,9 Prozent der Wirtschaftsleistung. Für 2016 wird eine Marke von unter 70 Prozent erwartet. Nach den Stabilitätskriterien von Maastricht soll diese Quote bei maximal 60 Prozent liegen.

Wie wirkt sich die Flüchtlingskrise aus?

Schon wegen der fälligen Sozialleistungen für die Flüchtlinge werden die Staatsausgaben ansteigen. Allein im laufenden Bundeshalt sind dafür zusätzlich rund 3,9 Milliarden Euro vorgesehen. Auf den Arbeitsmarkt wirkt sich die Zuwanderung vorerst kaum aus. Laut Prognose wird eine Arbeitslosenquote von 6,4 Prozent erwartet. Das entspricht exakt der Quote vom vergangenen Jahr. 2015 waren im Schnitt rund 2,8 Millionen Arbeitssuchende gemeldet. Bei der Bundesagentur für Arbeit wird aber damit gerechnet, dass sich diese Zahl in diesem Jahr um durchschnittlich 70 000 erhöht. Die Zahl der Erwerbstätigen liegt dagegen weiter auf Rekordniveau. 2015 waren im Schnitt 43 Millionen Menschen in Lohn und Brot. Das waren 3,7 Millionen mehr als im Jahr 2005.

Wie reagiert die Opposition?

Alternativ zum Jahreswirtschaftsbericht haben die Grünen gestern erstmals einen "Wohlstandsbericht" vorgestellt. Schwerpunkt sind ökologische Aspekte, Einkommensverteilung und die Lebenszufriedenheit, also qualitative Faktoren, die gewissermaßen hinter der Entwicklung des Bruttosozialprodukts stehen. "Wir müssen raus aus der Magie der einen Zahl", sagte die grüne Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae . Denn die Rechnung "Wachstum gleich Wohlstand" gehe schon lange nicht mehr auf. Dem Grünen-Bericht zufolge wird das Wachstum in Deutschland zum großen Teil mit einem Raubbau an der Natur erkauft. So sei etwa die Artenvielfalt bei Insekten um bis zu 80 Prozent eingebrochen. Auch habe die wachsende Einkommensungleichheit das Potenzial zu einem "sozialen Konflikt". Ziel der Grünen ist es, solche Analysen zur Grundlage politischer Entscheidungen zu machen - wenn sie irgendwann selbst wieder im Bund mitregieren.

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