Wird das Gichtgas-Kraftwerk zur Ruine?Schon heute wird Gas abgefackelt, statt damit Strom zu produzieren

Völklingen/Dillingen. Das neue Gichtgas-Kraftwerk, das zurzeit in Dillingen im Probebetrieb läuft, könnte zu einer Investitionsruine werden, wenn sich der politische Gurgelgriff zuzieht, der zurzeit die Rentabilität des Kraftwerks gefährdet. Bei allen, die an dem Projekt beteiligt sind, schrillen die Alarmglocken

Völklingen/Dillingen. Das neue Gichtgas-Kraftwerk, das zurzeit in Dillingen im Probebetrieb läuft, könnte zu einer Investitionsruine werden, wenn sich der politische Gurgelgriff zuzieht, der zurzeit die Rentabilität des Kraftwerks gefährdet. Bei allen, die an dem Projekt beteiligt sind, schrillen die Alarmglocken. Das ist zum einen das saarländische Energie-Unternehmen VSE, der regionale Kraftwerks-Betreiber Evonik Power Saar und die Roheisengesellschaft Saar (Rogesa), die die Hochöfen in Dillingen betreibt und an der die Dillinger Hütte und die Saarstahl AG zu jeweils 50 Prozent beteiligt sind. Denn die EU-Kommission steckt derzeit die Bedingungen ab, nach denen in der dritten Periode der Handel mit Emissions-Zertifikaten des Klimagases CO2 ablaufen soll. Diese dritte Handelsperiode wird sich über den Zeitraum 2013 bis 2020 erstrecken. Dort war ursprünglich geregelt, dass die Stromerzeugung aus so genannten Kuppelgasen von der allgemeinen Auktionspflicht für Emissionen aus der Stromerzeugung befreit wird. Kuppelgas ist ein Sammelbegriff für alle Gase, die als Kuppelprodukte bei Industrieprozessen entstehen. Bei der Eisen- und Stahlerzeugung sind das drei Formen von Gas: Konvertergas (im Stahlwerk), Koksofengas (in der Kokerei) und Gichtgas (oder Hochofengas) bei der Eisenschmelze im Hochofen. Alle drei Gase haben einen unterschiedlich hohen Energiegehalt und werden traditionell in den Produktionsprozessen der Hüttenindustrie genutzt. Das Gas wurde auch an die saarländische Kraftwirtschaft geliefert, um Strom zu erzeugen. Zwischengelagert wird es in Gasometern, jeweils sortenrein für jede der drei Kuppelgas-Arten. Wenn die Menge zu groß wurde, hat man es abgefackelt. Das Gichtgas-Kraftwerk wurde gebaut, damit diese Gasmengen zur Erzeugung von Strom und Dampf genutzt werden können.Jetzt sollen Kuppelgas-Kraftwerke nach dem Willen der EU-Kommission doch gezwungen werden, ab 2013 Emissionsrechte für den Ausstoß des Klimagases CO2 zu kaufen. Saarstahl-Chef Klaus Harste (Foto: SZ) geht davon aus, "dass wir Emissionsrechte für den Ausstoß von 360 000 Tonnen CO2 pro Jahr zukaufen müssen, wenn diese Pläne umgesetzt werden". Dies hätte bei einem CO2-Preis von 20 Euro pro Tonne jährliche Mehrkosten von 7,2 Millionen Euro zur Folge. Als im Jahr 2006 die Aufträge für das Gichtgas-Kraftwerk "vergeben wurden, sind wir von einer ganz anderen Kostengrundlage ausgegangen", sagt Christian Günther, der für Saarstahl das Projekt Gichtgas-Kraftwerk betreut. "Dass wir für das neue Kraftwerk Emissionsrechte kaufen müssen, stand überhaupt nicht zur Diskussion. Wir können gar nicht so schnell bauen, wie sich die Gesetze ändern" Die gesamten Investitionskosten für das Kraftwerk, das eine elektrische Leistung von 90 Megawatt (MW) hat, belaufen sich auf rund 120 Millionen Euro. Als Kapital-Rücklaufzeit wurden acht Jahre kalkuliert. "Durch die Kosten für den Emissionshandel wird sich unser Betriebsergebnis halbieren", sind sich Harste und Günther sicher. Eine zweite politische Entscheidung, die derzeit vorbereitet wird, könnte das Vorhaben vollends in die roten Zahlen treiben. So ist vorgesehen, das Erneuerbare Energiengesetz (EEG) dahingehend zu ändern, dass künftig auch selbst erzeugter und über eigene so genannte Objekt- oder Areal-Netze verteilter und in eigenen Anlagen verbrauchter Strom mit EEG-Abgaben belastet wird. Das heißt, man müsste die Mehrkosten mittragen, die für den Betrieb von Windanlagen, Solar- und Wasserkraftwerken oder anderen Stromerzeugern auf Basis erneuerbarer Energie entstehen. "Damit kämen weitere Zusatzkosten von aktuell zwei Cent pro Kilowattstunde (kWh) auf uns zu", kritisiert Günther. "Damit rutschen wir kräftig in die roten Zahlen. Das Kraftwerk wäre eine Investitionsruine." "Wenn wir das Gas einfach abfackeln, bräuchten wir nicht einen Cent zu zahlen", ärgert sich Saarstahl-Chef Klaus Harste. Völklingen. Schon in der laufenden, zweiten Periode des europaweiten Emissionshandels mit Zertifikaten des Klimagases CO2 (2008 bis 2012) hat die Saarstahl AG Nachteile erlitten. Bis 2008 verkauften die Völklinger Kuppelgas (Konverter-, Koksofen- oder Gichtgas) an den Kraftwerkspark in Völklingen-Fenne. In der zweiten Handelsperiode wurde dieses Gas-Lieferabkommen von dem Betreiber der Stromfabriken (Evonik Power Saar) gekündigt. Denn der Stromproduzent hatte das Recht auf die Zuteilung zusätzlicher CO2-Zertifikate erhalten, weil die Energie-Effizienz der Kraftwerke verbessert worden war. Diese Rechte hätte der Kraftwerksbetreiber verloren, wenn weiter Kuppelgas eingesetzt worden wäre. "Jetzt wird das Gas am Wochenende abgefackelt", sagt Saarstahl-Chef Klaus Harste. "Im Saarland erkennen wir wie unter der Lupe alle Widersprüche des Emissionshandels." low

Das ReichAbsurdistan

Von SZ-RedakteurLothar Warscheid Gas abfackeln im Namen des Umweltschutzes. So verrückt kann auch nur die europäische und deutsche Öko-Gesetzgebung sein. Was eigentlich in das Reich Absurdistan gehört, geschieht mitten im Saarland und damit im Herzen Europas. Da bauen verschiedene Partner für 120 Millionen Euro ein Gichtgas-Kraftwerk, um Industriegase in Strom und Wärme zu verwandeln statt sie abzufackeln. Wenn es nach dem Willen der EU-Kommission geht, müssen sie dafür Emissionsrechte kaufen, das Abfackeln samt Energieverschwendung und Luftverschmutzung wäre kostenlos. Als vor wenigen Jahren die Investitions-Entscheidung für das Kraftwerk fiel, war allerdings noch keine Rede davon, dass diese energie- und umweltpolitisch richtige Entscheidung mit zusätzlichen Millionenauflagen beschwert wird. Solche Investitionen brauchen Planbarkeit. Für umweltpolitische Schlangenlinien sind sie ungeeignet.

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