Willkommen in der Gen-Boutique

Als der amerikanische Schriftsteller Richard Powers - in Deutschland bekannt geworden durch seinen Roman "Der Klang der Stille" - an einem neuen Roman über das postgenomische Zeitalter saß, erreichte ihn ein Angebot der Zeitschrift "Gentlemen's Quartely" ("GQ"). Powers sollte eine Reportage über den gläsernen Gen-Menschen schreiben

Als der amerikanische Schriftsteller Richard Powers - in Deutschland bekannt geworden durch seinen Roman "Der Klang der Stille" - an einem neuen Roman über das postgenomische Zeitalter saß, erreichte ihn ein Angebot der Zeitschrift "Gentlemen's Quartely" ("GQ"). Powers sollte eine Reportage über den gläsernen Gen-Menschen schreiben. Was lag näher, als sich selbst zum Untersuchungsgegenstand zu nehmen? Powers fing an, über die beginnende Gen-Industrie zu recherchieren, las von Angeboten zur Gen-Typisierung ("Was verraten Ihre Gene über Sie? Woher stammen Ihre Vorfahren? Haben Sie den guten Geschmack Ihrer Mutter?") - und biss an. Nicht ganz ohne Skrupel und in manchen Nächten heimgesucht von der Sorge, am Ende womöglich sein Todesurteil decodiert zu finden. Doch die Neugier überwog.Weil all diese Internet-Offerten aber letztlich nur 0,002 Prozent der sechs Milliarden Genbausteine (zum Preis von 1000 Dollar) abdecken würden, stand Powers bald vor einem anderen Problem. Er wollte seinen vollständigen genetischen Bauplan. Das aber würde die Kleinigkeit einer Dreiviertelmillion Dollar kosten, was selbst einem erfolgreichen Autor wie ihm zu viel an Werteinsatz war. Am Ende fügte es sich, dass er als Freiwilliger in ein wissenschaftliches Versuchsprojekt aufgenommen wurde - umsonst. Aus ein paar Blutröhchen würden ein paar Monate später all sechs Milliarden Gen-Bausteine Powers herausgelesen werden. Etwas, was jede Vorstellungskraft sprengt: 12 000 Bücher à 250 Seiten wären nötig, um sämtliche Basenpaare Powers zu drucken. Der reinste Info-Overkill. Praktisch nur, dass solche monströsen, biokapitalistischen Zukunftsbibliotheken bereits heute auf einen USB-Stick passen. Das erleichtert den Genom-Boutiquen, die vielleicht schon in ein paar Jahren unserem Bedürfnis nach persönlicher Risikominimierung auf Basis solcher endloser Datensätze nachkommen, die Arbeit ganz erheblich. Maßgeschneiderte Programmierung von Charaktereigenschaften inklusive. Nur Science-Fiction?Powers' soeben auf Deutsch erschienene Reportage lehrt einen, dass die Vorratsdatenspeicherung von Gen-Informationen ein äußerst einträglicher Wirtschaftszweig zu werden verspricht. Wobei dies nur ein Nebenaspekt in diesem Bändchen ist, das eigentlich die Geschichte der Ernüchterung eines Genom-Idealisten erzählt. Anfangs glaubt Powers, mit der Entschlüsselung seines Genoms nach dem Wikipedia-Prinzip einen Beitrag zu einer großen öffentlichen Gen-Bibliothek zu leisten, die am Ende der Gesundheit aller zugute kommt. Weil gezielte Steuerung Zufälle ersetzt - denn was anderes sind unsere Krankheiten und Fehlbarkeiten letztlich? Als ihm dann an einem warmen Augusttag in Chicago in einem Rosenholzkästchen sein genetischer Steckbrief überreicht wird, entpuppt sich das vermeintliche (Privat-) Buch der Bücher schnell als unüberschaubares Wahrscheinlichkeitskonvolut mit unzähligen Kombinations- und damit Wahrheitsmöglichkeiten. Powers weiß nun zwar, dass er 248 Gen-Varianten in sich trägt, die sein Risiko in 77 Krankheitsfällen erhöhen. Und? Interessanter, weil für ihn nicht erklärlich, ist da schon, dass acht Prozent seines Genmaterials sich mit dem Volk der Yoruba (Nigeria) deckt. Ansonsten aber bleibt als eher dürftige Moral der Reportage: Unser - besser: vieler - Urbedürfnis, das eigene Schicksal selbst zu bestimmen, erfüllt sich auch durch solcherlei Risikominimierungsmanagement nicht. Absehbar aber ist, wie Powers in Orwell'scher Manier schreibt, dass "der Luxus des individuellen Genoms bald Routine im Gesundheitswesen sein" wird. Richard Powers: Das Buch Ich # 9. Fischer, 78 S., 12 €

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