Wie wir unsere Welt ordnen – und warum eigentlich

Saarbrücken · Ein Band mit 13 Texten des Schriftstellers Georges Perec (1936-1982) gibt Einblick in die Denk- und Arbeitsweise des Franzosen. Nicht alles dabei ist aber ergiebig.

Seine "systematische Unbeständigkeit", schrieb Georges Perec in "Anmerkungen über das, was ich suche", habe ihm den Vorwurf eingetragen, mehr eine "Texthervorbringungsmaschine" denn ein origineller Autor zu sein. Natürlich war der 1982 45-jährig an Lungenkrebs Gestorbene genau das: ein auf monomanische Weise origineller französischer Autor, dessen Werke der Sulzbacher Eugen Helmlé ins Deutsche übertrug. Perec' auf jedes E verzichtender Roman "La disparition" ("Anton Voyls Fortgang") zeigt, welche Leistung hinter beidem steckt.

Der Zürcher Verlag Diaphanes führt Perec' vergriffene und verstreute Werke wieder zusammen. 2014 erschienen die Erzählung "Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof?" und mit "Denken/Ordnen" ein Band mit 13 Texten, die zwischen 1976 und 1982 in Zeitungen und Zeitschriften erschienen: Sprach- und Selbsterkundungen unterschiedlicher Qualität, die Einblick geben in die Denk- und Arbeitsweise von "Oulipo", jener von Raymond Queneau und François Le Lionnais 1960 gegründeten "Werkstatt für potentielle Literatur", der Perec angehörte. Die Oulipo-Grundidee war es, Formzwänge als produktiv zu begreifen. Man führte einen spielerischen Freiheitskampf gegen selbst auferlegte Beschränkungen. Im Fall Perec erwuchs daraus ein sprachkritisches Ordnungsverfahren zur Erfassung der Umwelt, wie es vor allem der titelgebende, zwei Wochen vor seinem Tod erschienene Text "Denken/Ordnen" mustergültig einlöst. Er thematisiert das Unzureichende aller Klassifizierungsmethoden, die Vergeblichkeit all unserer Listen und Fakten-Aufzählereien. Überflüssig sind sie dennoch nicht: Denn sie beschreiben uns selber, unsere Denkart. Immer geht es darum, "Dringlichkeitszonen (zu) bilden, von denen man lediglich weiß, dass man so gut wie nichts über sie weiß", heißt es in einem Text, der sich der Frage widmet, was beim Akt des Lesens physiologisch mit uns passiert.

Als Perec-Einstieg taugt der Band trotz mancher Perlen nur bedingt. Dazu erhält er zu viel Unergiebiges. Vor allem ein Text lässt darüber leicht hinwegsehen: In "Orte einer List" resümiert Perec im Abstand von Jahrzehnten eine Psychoanalyse , der er sich 1949 unterzog. Weshalb, das bleibt ausgespart. Aber man begreift, wie lange es braucht, während einer Psychoanalyse den "Taschenspieler, der sich so wunderbar Illusionen über sich selber zumachen wusste" hinter sich zu lassen. Perec hat dies auf wenigen Seiten erschöpfend erklärt.

Georges Perec : Denken/Ordnen. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Diaphanes, 171 Seiten, 12,95 Euro.

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