DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer Wie viel Wissenschaft im WM-Titel steckt

Saarbrücken · Der Saarbrücker Professor Tim Meyer ist zugleich Teamarzt der DFB-Elf. Er erzählt, wie die Forschung helfen kann, Fußballspiele zu gewinnen.

 Tim Meyer, Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Tim Meyer, Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Foto: Gerrit Dauelsberg

Bei einer Frage kommt am Mittwochabend auch der Wissenschaftler ins Schwitzen: „Wer wird Fußball-Weltmeister?“, will Helmut Rüßmann von der Universitätsgesellschaft des Saarlandes am Ende seines Grußwortes wissen – und fügt augenzwinkernd hinzu: „Wenn Sie diese Frage nicht beantworten können, ist die Wissenschaft offenbar noch nicht sehr weit.“ Tim Meyer braucht lange, um sich zu einer Antwort durchzuringen – und sie fällt aus wissenschaftlicher Sicht ziemlich unpräzise aus. Doch dazu später mehr.

Zunächst legt der Saarbrücker Uni-Professor Meyer, einer der  Mannschaftsärzte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, ausführlich dar, welche Rolle die Wissenschaft im modernen Fußball spielt. Und dass die nicht zu unterschätzen ist, wird den etwa 140 Zuhörern in der Aula der Saar-Universität anhand eines Beispiels deutlich: Bei der WM 2010 in Südafrika hatten sieben von 32 Teams ihr Teamhotel auf Höhe des Meeresspiegels. Die Spiele fanden hingegen überwiegend in großer Höhe statt. Laut Wissenschaft ist eine drei- bis fünftägige Akklimatisierung in den Bergen zu empfehlen, erläutert Meyer. So gewöhnt sich der Körper an den geringeren Sauerstoffanteil in der Luft. Die sieben Teams, die auf niedriger Höhe untergebracht waren, zahlten womöglich den Preis dafür: Obwohl sie in der Weltrangliste im Schnitt ähnlich platziert waren wie die übrigen 25 Mannschaften, schieden sie bis auf eines alle in der Vorrunde aus, beim siebten war im Achtelfinale Endstation. Das DFB-Team logierte auf 1300 Metern Höhe und wurde immerhin WM-Dritter.

Entscheidet die Wissenschaft also über Sieg und Niederlage? Zumindest kann sie die entscheidenden Prozentpunkte beisteuern. Das weiß man auch im Profifußball. „Die Vereine schreiben sich auf die Fahne, wissenschaftlich zu arbeiten“, sagt Meyer. Zum Stab der Bundesliga-Klubs gehören heutzutage neben mehreren Co-Trainern, Mannschaftsärzten und Physiotherapeuten auch Fitnesstrainer, Sportpsychologen und Ernährungsberater. Wobei letztere im Fußball nicht ganz so wichtig sind, glaubt der DFB-Arzt. Ein Profi verbrenne an einem normalen Trainingstag gut 3000 Kilokalorien. Die könne man dem Körper über eine ganz normale Ernährung zuführen. Nur besondere Belastungen wie etwa zusätzliche Spiele unter der Woche bringen laut Meyer erhöhte Anforderungen an die Ernährung mit sich.

Viel wichtiger sind wissenschaftliche Erkenntnisse aber bei der Belastungssteuerung. Die berühmte „Eistonne“, die sich Per Mertesacker 2014 nach dem WM-Achtelfinalspiel der DFB-Elf gegen Algerien im Interview verordnete, spielt dabei tatsächlich eine Rolle. Studien haben laut Meyer ergeben, dass Eiswasser förderlich für die Regeneration ist. Viel mehr übrigens als Massagen. Die bringen allenfalls einen sehr kurzfristigen Effekt: „Massagen sind eigentlich nur in der Halbzeit sinnvoll. Da werden sie aber nicht verabreicht“, sagt Meyer, der im Ärzte-Team der DFB-Elf für die Leistungsdiagnostik zuständig ist. Dazu kümmert er sich um alle Beschwerden, die ein Orthopäde nicht behandeln kann und ist für das Anti-Doping-Management zuständig.

 Gerade aus diesem Blickwinkel heraus weiß Meyer, dass die Wissenschaft im Spitzensport nicht nur Segen, sondern auch Fluch sein kann. Auch wenn er nicht glaubt, dass illegale Leistungssteigerungen im Fußball eine ähnliche Rolle spielen wie in reinen Kraft- und Ausdauersportarten. An systematisches Doping glaubt er jedenfalls nicht. Aber: „Meiner Meinung nach ist der Fußball nicht dopingfrei. Das ist illusorisch!“ Einzelne Sportler versuchten mit Sicherheit, sich darüber einen Vorteil zu verschaffen. Andere wiederum seien geradezu übervorsichtig: „Oft rufen mich Spieler an und fragen mich, ob sie ein bestimmtes Shampoo auch wirklich verwenden dürfen“, berichtet Meyer.

Die DFB-Elf will demnach also mit absolut legalen Mitteln Weltmeister werden. Wobei wir wieder bei der Eingangsfrage wären: Wer gewinnt im Juli den Titel? „Es gibt drei Favoriten: Frankreich, Spanien und wir“, lautet die etwas vage Antwort Meyers. Bei der Vorhersage von Spielergebnissen stößt die Wissenschaft also an ihre Grenzen – zum Glück, werden die Fans sagen. Nicht auszudenken, wenn Fußball durch und durch planbar wäre. . .

Tim Meyer referiert am Montag, 23. April, ein weiteres Mal über die Rolle der Wissenschaft im Fußball. Der Vortrag beginnt um 16 Uhr auf dem Saarbrücker Campus im Gebäude B3 1, Hörsaal III.

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