Wie man durch Etikettierungen an den Rand gedrängt wird

Die Ich-Erzählerin Mascha Kogan hat einiges gemeinsam mit ihrer Schöpferin: Wie Mascha ist Olga Grjasnowa Mitte der 90er aus Aserbaidschan als Kind nach Deutschland gekommen, hat sie die Erfahrungen des Krieges in der Region Bergkarabach hier her mitgenommen; wie Mascha lernte sie mehrere Sprachen, um nicht ausgeschlossen zu werden: Dass "Sprachen Macht bedeuteten" erfährt Mascha früh

Die Ich-Erzählerin Mascha Kogan hat einiges gemeinsam mit ihrer Schöpferin: Wie Mascha ist Olga Grjasnowa Mitte der 90er aus Aserbaidschan als Kind nach Deutschland gekommen, hat sie die Erfahrungen des Krieges in der Region Bergkarabach hier her mitgenommen; wie Mascha lernte sie mehrere Sprachen, um nicht ausgeschlossen zu werden: Dass "Sprachen Macht bedeuteten" erfährt Mascha früh und studiert später derer fünf, um Dolmetscherin zu werden. Wie man durch Etikettierungen an den Rand gestellt, wie man als "anderer" fixiert wird - und zu welch unheilvollen Dynamiken diese Zuschreibungen in Konflikten führen, diese Thematik treibe sie um, meinte die Autorin in einem Interview. Im Roman variiert sie diese Fragen auf vielfache Weise, gebündelt in der Figur Maschas.Mascha ist Mitte 20 und mit Elias zusammen. Sie lieben sich und streiten viel: Elias spürt, dass Mascha ihm etwas verschweigt, ihr Trauma, das sie als Kind in Aserbeidschan erlitten hat. Er will ihr Vertrauen, sie will nicht, "dass ein Genozid nötig ist, um mich zu verstehen" und weiß doch, wie sehr sie innerlich versehrt ist: Die Frauenleiche im blauen Kleid, die ihr vor die Füße fällt, das Blut, mit dem sich ihre Kinderschuhe vollsaugen, diese Bilder verfolgen sie. Als Elias nach einer Fußballverletzung ins Hospital muss und stirbt, verliert Mascha jeden Halt, und das Trauma gewinnt immer mehr Raum.

Grjasnowa erzählt von dieser Liebesgeschichte, vom Schwanken Maschas zwischen totaler Hingabe und Distanz - dass die Gründe in deren Kindheit liegen deutet sie nur an, was ausreicht. Sie erzählt von der Trauer und flicht dabei viele andere Figuren und deren Geschichten ein. Ihr multikultureller Hintergrund ist selbstverständlich, diese Figuren entziehen sich den Zuschreibungen, mit denen sie ständig konfrontiert sind. So souverän sie zwischen Ländern und Sprachen changieren, so wenig bejammert die Autorin das als Verlust von Identität oder "Heimat", sie führt es als Erfahrung ihrer Generation vor. Dem gegenüber steht das Bedürfnis vieler nach Eindeutigkeiten und nach Abgrenzung von dem als "anders" Markierten.

Grjasnowa lässt Mascha, die auch Jüdin ist, für einige Zeit nach Israel gehen - und holt so die ganze Komplexität des Nahostkonflikts mit in den Roman. Auch hier begegnet Mascha Figuren, anhand derer mögliche Haltungen und Verhaltensweisen in diesem Konflikt vorgeführt werden. Viel Stoff. Doch Grjasnowa gestaltet ihre Charaktere sehr glaubhaft: Sie scheinen oft plastisch greifbar, die Atmosphären entfalten sich, die Dialoge sind dicht. Nur eine Schwäche bleibt doch: Weil die Nebenfiguren oft zu sehr Aspekte eines Themas zu verkörpern haben, fehlt es ihnen an Schärfe und Tiefe.

Olga Grjasnowa: Der Russe ist einer, der Birken liebt. Hanser, 285 Seiten. 18,90 €

Am 20. Juni (20 Uhr) liest Olga Grjasnowa im Saarländischen Künstlerhaus.

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