Wie der Mensch die Natur simuliert

Saarbrücken · Jeder weiß, was Natur ist. Oder nicht? Ist sie nur das, was der Mensch als solche identifiziert? In der Saarbrücker Stadtgalerie führen Fotos und Videoinstallationen unser Verständnis von Natur als Konstrukt vor.

 Die Videoinstallation „Sunflowers” von Ursula Palla: Die Blumen sind verfremdet, doch direkt mit einer natürlichen Quelle verbunden – die Installation steuert ein Sonnenkollektor. Foto: Stadtgalerie

Die Videoinstallation „Sunflowers” von Ursula Palla: Die Blumen sind verfremdet, doch direkt mit einer natürlichen Quelle verbunden – die Installation steuert ein Sonnenkollektor. Foto: Stadtgalerie

Foto: Stadtgalerie

Die Ausstellung "Nach der Natur" in der Stadtgalerie Saarbrücken bricht mit den Verhältnissen. Gilt doch, dass die Kunst stets vergeblich nach der Wiederholung der Natur strebt und doch nie an das Vorbild heranreicht. Falsch. Doch das Vorbild ist keins, sondern eine Konstruktion. Natur und das, was wir als solche identifizieren, ist immer abhängig von gesellschaftlichen Übereinkünften, ökonomischen Interessen, technischen Möglichkeiten. Das zeigt die Diskussion um genmanipulierte Pflanzen oder um den Bau von Windkraftanlagen, die sich an unserer Vorstellung von Landschaft und Natur entzünden.

Lenkte die Stadtgalerie unter Bernd Schulz durch die Kunst die Wahrnehmung auf das Verhältnis Natur und Industriegesellschaft, geht die sie unter der Leitung von Andrea Jahn darüber hinaus. Und stellt diese Wahrnehmung mittels der künstlerischen Medien auf den Prüfstand und bewirkt damit zweierlei: Kunst entlarvt und simuliert zugleich. Ob als quasi-objektive Pflanzenzeichnung bei Regula Dettwiller im Stil der Naturforscherin Maria Sibylla Merian, mit der sie Plastikblumen inklusive Preisschild abbildet oder passend fürs Botanikbuch Blattformen aus Pflanzenteilen zusammensetzt, um das Naturverständnis als Konstrukt vorzuführen.

Dieses Wechselspiel zwischen Simulieren und Offenlegen bestimmt auch die Installationen und Videos von Ursula Palla, wenn Pferd und Schwan buchstäblich als Projektion auf der Wand erscheinen. Ästhetisch anmutig wogt das Meer der dreispitzigen Angelhaken, von denen jeder den sicheren Tod bringt.

Was als Landschaft schön scheint, ist immer eine Hinterlassenschaft des Menschen und Ausdruck der Ausbeutung der Natur. Wie die gerodeten Hügel der schottischen Highlands oder die Bergehalde Lydia bei Fischbach-Camphausen, einer vom Menschen zuerst geschaffenen und dann von ihm inszenierten Leere, in der sich nun Pionierpflanzen ansiedeln. Angetan zu zeigen, dass hier eine Macht besteht, die sich der Herrschaft des Menschen entgegen stemmt, wie es die Ameisen in ihrem Video tun, und effizient einen 1000 Schweizer Frankenschein zerlegen. Diese bemächtigen sich im Bild dem Topos vom Werden und Vergehen, wie das Duo Gabriela Gerber & Lukas Bardill zeigt, in dem es Zeitrafferfotografien von aufblühenden und welkenden Senfsamen zu einer mehrteiligen Videoinstallation animiert. Dadurch spitzt sich die Abhängigkeit der Naturwahrnehmung, genauer deren vermeintliche Realität, von dem sie darstellenden Medium noch einmal zu.

Bei ihrer Gründung im Jahr 1985 nahm sich die Saarbrücker Stadtgalerie vor, "Hilfen zur Erkundung des Realen" zu geben. Darin lag und liegt nun wieder ihr Rang. Auch wenn das, was wir für real halten, eine Simulation und Konstruktion ist.

Die Ausstellung läuft bis zum 28. September. Öffnungszeiten von Dienstag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr. Samstag, Sonntag, Feiertag von 11 bis 18 Uhr. Die Ausstellung bleibt vom 19. bis zum 31. August geschlossen. Mehr Infos unter Tel. (06 81) 9 05 18 42.

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