Wie bildet man die Wirklichkeit ab?

Hannover. Für die US-Fotografenlegende Walker Evans (1903-1975) war die Sache klar: In der Kunst gibt es keine rein dokumentarische Fotografie. Ihr haften Momente der subjektiven Auswahl und der künstlerischen Konstruktion an. Evans schlägt daher den Begriff "dokumentarischer Stil" vor

 Ein titelloses Bild Max Baumanns, von 2011. Foto: Baumann / Sprengel

Ein titelloses Bild Max Baumanns, von 2011. Foto: Baumann / Sprengel

Hannover. Für die US-Fotografenlegende Walker Evans (1903-1975) war die Sache klar: In der Kunst gibt es keine rein dokumentarische Fotografie. Ihr haften Momente der subjektiven Auswahl und der künstlerischen Konstruktion an. Evans schlägt daher den Begriff "dokumentarischer Stil" vor. Wie sich Fotokünstler seit Anfang der 1960er Jahre im Feld des Dokumentarischen bewegt haben, zeigt jetzt das Ausstellungsprojekt "Photography Calling!" im Sprengel Museum Hannover, mit 31 Positionen auf rund 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche: von Diane Arbus, der für Toleranz plädierendenen Porträtistin amerikanischer Exzentriker der 1960er Jahre, bis hin zum jungen Berliner Künstler Tobias Zielony, einem sensiblen Beobachter jugendlicher Subkulturen.Die Schau bezieht ihren Reiz aus zahlreichen dialogischen Gegenüberstellungen. Da wird etwa Andreas Gurskys am Computer nachbearbeitete großformatige Aufnahme tanzender Jugendlicher in einer Großraumdiskothek mit den eher romantisch anmutenden Waldmotiven von Jitka Hanzlová konfrontiert. Die schwarz-weißen, klassisch in der Dunkelkammer abgezogenen Naturaufnahmen von Jochen Lempert hängen Thomas Demands akribisch aus Papier gebastelten und dann abfotografierten Rekonstruktionen von Medienbildern gegenüber. "Photography Calling!" stellt Bezüge her zwischen der stark subjektivierten Street Photography eines Lee Friedlander aus den 1960er Jahren und den fotografischen Erkundungen eines Wolfgang Tillmans an den Kristallisationspunkten unserer Zivilisation: auf dem nur noch aus Werbetafeln bestehenden New Yorker Times Square oder in der futuristischen Architektur Shanghais. Ob der Brite Martin Parr Havanna rauchende Oligarchengattinnen auf der Moskauer Millionärsmesse fotografiert oder Boris Mikhailov blauäugige Deutsche im Profil ablichtet und damit die pseudowissenschaftlichen Methoden von Eugenikern und Rassisten des 20. Jahrhunderts sarkastisch persifliert - "Photography Calling!" liefert einen Bilderkosmos, der der oft sensationsgierigen Profanität von Pressefotos künstlerische Annäherungen an die Wirklichkeit entgegen stellt.

Bis 15. Januar. Di und Sa 10-20 Uhr. Mi, Do, Fr und So 10-18 Uhr. Katalog: 45 Euro. Kontakt:

 Rineke Dijkstras "Tex, Amsterdam", 2010. Foto: Dijkstra

Rineke Dijkstras "Tex, Amsterdam", 2010. Foto: Dijkstra

 Ein unbetiteltes Motiv von Stephen Gill. Foto: Gill

Ein unbetiteltes Motiv von Stephen Gill. Foto: Gill

Tel. (05 11) 16 84 38 75.

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