Widerstand gegen Zwangsrente

Berlin · Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat die Zwangsverrentungs-Praxis für ältere Langzeitarbeitslose scharf kritisiert. Für die Betroffenen bedeute dies häufig Altersarmut.

Viele Langzeitarbeitslose freuen sich nicht auf die Rente. Sind sie doch zum frühestmöglichen Bezug der gesetzlichen Rente verpflichtet, um staatliche Sozialleistungen zu vermeiden. Das bedeutet Rentenkürzungen. Gegen diese Zwangsverrentung formiert sich jetzt Widerstand.

Einerseits plant die große Koalition eine abschlagsfreie Rente mit 63 für Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. Andererseits sind ältere Langzeitarbeitslose dazu verpflichtet, spürbare Rentenabschläge in Kauf zu nehmen. Für DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach ist das ein eklatanter Widerspruch. So gerecht der freiwillige Ausstieg aus dem Arbeitsleben nach 45 Versicherungsjahren ohne Rentenkürzungen sei, "so skandalös ist es, Hartz-IV-Bezieher in die Rente mit Abschlägen zu zwingen", sagte Buntenbach unserer Zeitung. Denn für die Betroffenen bedeute das eine "lebenslange Rentenkürzung und häufig Altersarmut".

Nach dem Sozialgesetzbuch haben Versicherungsleistungen grundsätzlich Vorrang vor staatlichen Hilfen aus Steuermitteln. Hat ein Langzeitarbeitsloser im Alter von 63 zum Beispiel mindestens 35 Versicherungsjahre erreicht, ist er grundsätzlich zum Renteneintritt verpflichtet. Mit dieser Frühverrentung sind dauerhafte Abschläge von 0,3 Prozent pro Monat verbunden. Der Rentenexperte der Linken, Matthias Birkwald, hat errechnet, dass sich die monatliche Renteneinbuße dadurch auf bis zu 100 Euro summieren kann.

Wie viele ältere Hartz-IV-Empfänger unfreiwillig in den Ruhestand wechseln, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass im Vorjahr rund 28 000 Personen im Alter von 63 aus dem Hartz-IV-Bezug ausschieden. In diesem Jahr werden rund 65 000 Empfänger von Grundsicherung das 63. Lebensjahr vollenden. Etliche davon müssen gegen ihren Willen in Rente gehen. Das ist vor allem für jene problematisch, deren Rentenanspruch nicht das Existenzminimum abdeckt. Bis zum Erreichen des regulären Renteneintrittsalters haben sie nämlich keinen Anspruch auf eine ergänzende, vom Bund finanzierte Grundsicherung im Alter. Für den Übergang steht den Betroffenen nur die von den Kommunen bezahlte Sozialhilfe zu, die aber unter strengeren Auflagen im Hinblick auf die eigenen Rücklagen gewährt wird als die Grundsicherung.

Auch der Städte- und Gemeindebund kritisierte deshalb gestern die geltende Rechtslage. "Ältere Menschen, die erwerbsfähig sind, zu zwingen, in Rente zu gehen, nur weil sie momentan keine konkrete Aussicht auf eine passende Stelle haben, ist der falsche Weg", bemängelte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Nach Einschätzung der grünen Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer trägt die Zwangsrente auch zur "Beschönigung" der Arbeitslosenstatistik bei. "Man kann nicht einerseits eine längere Lebensarbeitszeit propagieren und andererseits Ältere systematisch vom Arbeitsmarkt drängen", sagte Pothmer unserer Zeitung.

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