Wenn man die Kirche nicht mehr im Dorf lässt

Eine volle Kirche: Selbstverständlich ist das längst nicht mehr, was vorigen Sonntag in der evangelischen Kirche in Quierschied zu erleben war. Der Grund liegt auf der Hand: Für diese Kirche war es ein besonderer, der letzte Gottesdienst nämlich. Entwidmet wurde sie, "außer Dienst gestellt" - wie es offiziell heißt. Nach 52 Jahren

Eine volle Kirche: Selbstverständlich ist das längst nicht mehr, was vorigen Sonntag in der evangelischen Kirche in Quierschied zu erleben war. Der Grund liegt auf der Hand: Für diese Kirche war es ein besonderer, der letzte Gottesdienst nämlich. Entwidmet wurde sie, "außer Dienst gestellt" - wie es offiziell heißt. Nach 52 Jahren. Weil sich die Gemeinde zwei Kirchen - in Fischbach steht die zweite, ältere - nicht mehr leisten kann. Zu hoch die Heizkosten, zu teuer die Erhaltung, zu spärlich die Kirchgänger. Jetzt sucht man einen Mieter.

Nein, außergewöhnlich ist das nicht mehr. Es ist bereits die dritte evangelische Kirche im Kreis, die entwidmet wurde. Kirchen in ganz Europa dienen mittlerweile zweckentfremdet als Büro, Nobelquartier, Hotel, Lagerhalle. Man hat sich fast daran gewöhnt. So wie es kaum mehr irritiert, wenn Geistliche im Gottesdienst über Ressourcenbündelung reden, das Ökonomische sich dort breit gemacht hat, wo es doch nicht allein um Irdisches gehen sollte.

Eben eine Kirche weniger, mag man jetzt sagen. Ich kann das nicht so sehen. Zugegeben, Persönliches, auch Sentimentales spielt da für mich eine Rolle. Weil mein Vater an dieser Kirche in Quierschied mitarbeitete in einem ökumenischen Aufbaucamp der 50er Jahre, meine Eltern dort getraut wurden, ich dort getauft, konfirmiert und selbst getraut wurde, ich meinen Vater dort unzählige Mal predigen hörte. Wobei das kein Grund sein kann, etwas gegen die Schließung dieses Gotteshauses zu haben. Denn auch das muss gesagt sein. In den vergangenen zehn Jahren reichten die sprichwörtlichen Finger einer Hand, um die eigenen Besuche in dieser Kirche abzuzählen.

Weit wichtiger scheint mir aber, was sich an dieser und anderen Kirchenschließungen ablesen lässt. Das, was sich nämlich in nur wenigen Jahrzehnten inmitten unserer Gesellschaft verändert hat. Vor gut 50 Jahren standen Kirchen wie selbstverständlich mitten im Dorf. Waren Mittel- wie Orientierungspunkt, im tatsächlichen wie auch übertragenen Sinne. Heute schließen wir unsere Kirchen und ängstigen uns zugleich vor dem religiösen Fanatismus anderer. Und nicht wenige stören sich auch an anderen Gotteshäusern, wenn etwa Minarette in den Himmel wachsen. Bei allen Befürchtungen, die zurecht bestehen, bei Gefahren, die konkret sind, liegt doch die Vermutung nahe, dass uns fremder Glaube auch deshalb so suspekt ist, weil uns der eigene immer mehr abhanden kommt. Wundern muss einen die zunehmende Kirchenferne unserer Gesellschaft sicher nicht. Auch die Amtskirchen selbst tragen, was nicht allein in den jüngsten Skandalen deutlich wird, dazu bei, dass sich Menschen abwenden. Was aber füllt dann die Leerstellen aus, wenn man die Kirche nicht mehr im Dorf lässt? Wo bildet sich stattdessen Gemeinschaft? Welche Werte finden noch weitgehende Zustimmung? Nein, eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Allenfalls die schlichte Erkenntnis, dass sich eine Kirche im Dorf so leicht nicht ersetzen lässt.

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