Wenn Kopf und Seele nach Gewissheit dürsten

Saarbrücken · Im Umgang mit Katastrophen lernt sich der Mensch besser kennen. Er zeigt ungewohnte Verhaltensweisen, wird emotional und positioniert sich, wo er sonst Zurückhaltung übt. Gefüttert und ermuntert von den Medien, beansprucht der Mensch bei Katastrophen wie dem wohl bewusst herbeigeführten Absturz des Airbus 320 ein Recht zur Mitsprache und macht davon reichlich Gebrauch.

Zugleich ist er unehrlich gegen sich selbst - weil er nicht eingestehen will, dass er zur "Sensationsgier" neigt.

In den (sozialen) Medien ist nachzulesen, dass sich viele Menschen furchtbar aufregen über "die unseriösen Spekulationen", mit denen die Berichterstattung über den Flugzeugabsturz angeblich gespickt war und ist. Andere geben ihrer Empörung darüber Ausdruck, dass der mutmaßliche Täter, Co-Pilot Andreas L., mit vollem Namen und unverpixelt als "Massenmörder" dargestellt wird. Oder dass trauernde Angehörige im Bild gezeigt werden und einfach "zu viel" über ein Ereignis berichtet wird, das schon wegen seiner Monstrosität verstörend wirkt. Airbus-Chef Tom Enders hat die vielen Talkshows mit ihren "Experten" kritisiert, die ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann zeigte sich genervt von der "Besserwisserei" und predigte (in einem Boulevardblatt!) Verzicht: "Keine Bilder mehr. Keine Sondersendungen. Keine Erklärungsversuche". Sondern "gemeinsame Stille".

Naja, das klingt nicht nur weltfremd, das ist es auch. Wer sich dermaßen über Menschen und Medien aufregt, sollte eigentlich wissen: Sie verhalten sich ganz normal. Es ist ein elementares Bedürfnis des Menschen, Unfassbares erfassen und Unerklärliches erklären zu wollen. Es liegt in seiner Natur, fehlende Puzzleteile eines unvollständigen Bildes mit den Mitteln der Spekulation zu ersetzen. Kopf, Herz und Seele dürsten nach Gewissheiten, auch um der eigenen Ängste Herr zu werden. Nicht umsonst haben die Sondersendungen der TV-Anstalten und die Schlagzeilen der Zeitungen in Katastrophen-Momenten hohe Quoten und besondere Aufmerksamkeiten. Dieses Phänomen ist universell, und die immer wiederkehrende Kritik an der "Sensationslust " der Menschen ist wohlfeil und scheinheilig, denn auch die Selbstgerechten schauen den "Brennpunkt" und lesen die neuesten Erkenntnisse über das Leid der Opfer und den Wahn des Täters.

Sicherlich gab und gibt es auch Fehlinterpretationen und grenzwertige Berichte, wirre Worte und mangelnde Diskretion. Doch ist zu berücksichtigen, dass die Hintergründe des sinnlosen Todes von 150 Menschen auch deshalb so großes Interesse finden, weil das Verhalten des Co-Piloten jegliche Maßstäbe sprengt. Wir kennen politisch motivierte Terrorakte, den Wahnsinn des Krieges und die Verblendung von Gotteskriegern. Aber die Inszenierung eines Massenmordes aus persönlichen Gründen ist so schwer verkraftbar, dass der Mensch die (mediale) Kommunikation braucht, um das Unfassbare wenigstens ansatzweise verarbeiten zu können.

Co-Pilot Andreas L., das sagen alle Indizien, war ganz offensichtlich ein kranker Mann mit einer furchtbaren Fehlschaltung im Gehirn. Das tröstet nicht wirklich, und wer will, kann mit dem Schicksal hadern oder Gott anklagen, der solche Taten zulässt. Am Ende des Tages bleibt ohnehin nur die ebenso bittere wie banale Erkenntnis, dass der Mensch mit seiner Anfälligkeit für Ängste und Krankheiten bei allem technischen Fortschritt auf ewig ein Sicherheitsrisiko bleibt.

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