Wenn die Straße ruft

Forbach. Zu melancholischen Streicherklängen recken sich Arme mit Boxhandschuhen in die Höhe. Tänzer kommen hinter einem schnörkeligen Gitterverschlag hervor, einer Mischung aus verzerrtem Boxring und Balkongeländer

Forbach. Zu melancholischen Streicherklängen recken sich Arme mit Boxhandschuhen in die Höhe. Tänzer kommen hinter einem schnörkeligen Gitterverschlag hervor, einer Mischung aus verzerrtem Boxring und Balkongeländer. Die Musiker von "Quatuor Debussy" spielen auf fahrbaren Wägelchen hockend Schubert, während Mourad Merzoukis Compagnie "Käfig" wie ein wild keimender Pflanzenhaufen auf die Bühnenbretter und in Kampfstellung taumelt.Bei Merzoukis neuem Stück "Boxe Boxe" ist das Forbacher Le Carreau am Dienstagabend bis auf den letzten Platz besetzt. Einmal mehr lotet der Choreograf aus Lyon die Straßenkampf- und HipHop-Tauglichkeit des modernen Balletts aus. Er kommt, wie schon im gefeierten "Agwa - Correria" zu berückend bildreichen Ergebnissen. Anmutig sind die Bewegungen seiner Tänzer - und auch komisch. Wie die des von zwei Kämpfern slapstickartig umtosten rundlichen Ringrichters, der in einen quirligen Pirouetten-HipHop verfällt.Die vier Quatuor-Streicher auf ihren Gitterwagen geben mit ihrer Präsenz und mit Ravel, Mendelssohn und Verdi den Rahmen vor für ein Box-Ballett, das die Schönheit von Kraft und Schnelligkeit in direkten Bezug zu Aggression, Verletzlichkeit und Gefahr bringt. Zeitgenössische Einsprengel des Rappers AS'N kontrastieren den Quatuor-Part. Von der Decke baumeln Punching-Bälle, die Tänzer wirbeln daran ihrer inneren Sammlung entgegen. Einer verausgabt sich zu Philip Glass' "Dracula" am Sandsack. Die Muskelstählung ist ein introvertiertes Solo mit hypnotischem Potenzial. Ein Stakkato setzt eine Kampfmaschinerie mit Head Spins, Sprüngen und Schlägen in Gang, als zeigten Muskeln instinktiven Drang nach Regung.Die in bronzefarbenen Schimmer getauchte Bühne (Benjamin Lebreton) erinnert an alte Fotos in Sepia. Wie "Boxe Boxe" überhaupt etwas vom Flair alter Jahrmärkte mit unabdingbarem Boxring hat. Zwischen roten Seilen findet ein gedrosseltes Zeitlupe-Boxen statt. Die Seile öffnen sich zum Saal hin, Kampf ist überall, die Straße ruft. Die Essenz aus Merzoukis Konglomerat der Künste Tanz und Kampf ist dramatisch und vibrierend lebendig. "Boxe Boxe" erntet lauten Jubel und stehende Ovationen.

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