Wenn die Seele streikt

Berlin · Noch nie gab es in Deutschland so viele Krankschreibungen wegen psychischer Störungen wie heute. Die seelischen Leiden haben deshalb aber nicht unbedingt zugenommen – sie werden nur besser diagnostiziert.

Angstzustände, Dauermüdigkeit, Antriebslosigkeit - in der Vergangenheit wurde oft darüber berichtet, dass psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch seien. Eine im Sommer veröffentlichte Studie der Betriebskrankenkassen (BKK) kam jedoch zu einem anderen Schluss. Ihre Kernaussage: Die Erkennung der Krankheit habe sich verbessert. Ein neuer Report, den die Krankenkasse DAK gestern vorgestellt hat, untermauert nun diesen Befund. "Der Umgang mit psychischen Krisen ist seitens der Ärzte und der Betroffenen offener geworden, was sich in einer genaueren Diagnostik abbildet", sagt DAK-Chef Herbert Rebscher.

Rund 1,9 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr wegen einer psychischen Störung krankgeschrieben. Die Anzahl der Fehltage hat sich dabei seit 1997 verdreifacht. Allein unter den DAK-Versicherten kamen wegen psychischer Störungen mehr als 6,3 Millionen Ausfalltage zusammen. Damit haben sich die psychischen Leiden vom dritten auf den zweiten Platz in der Fehltage-Statistik geschoben. Nur wegen Rückenschmerzen und anderer Erkrankungen des Bewegungsapparats blieben die Menschen der Arbeit noch häufiger fern.

Fast die Hälfte aller Psycho-Fehltage wurden mit Depressionen begründet. Die Krankheit äußert sich durch gedrückte Stimmung, Lustlosigkeit und andauernde Müdigkeit. Stark verbreitet sind auch Anpassungsstörungen. Hier handelt es sich um krankhafte Reaktionen auf belastende Ereignisse wie den Tod eines Angehörigen oder eine Krebserkrankung.

Aber auch Probleme im Job können so belastend wirken, dass Ärzte eine Anpassungsstörung diagnostizieren. "Fakt ist, dass chronischer Stress das Entstehen von Depressionen begünstigt", sagt der Hamburger Gesundheitsforscher Hans-Peter Unger. Früheren Untersuchungen zufolge fühlt sich etwa jeder dritte Beschäftigte durch Termin- und Leistungsdruck beeinträchtigt, jeder Vierte verzichtet häufig auf Pausen, und von den Führungskräften hat fast jeder Zweite Probleme, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Wichtig sei es deshalb, Alarmsignale wie Schlafstörungen oder Reizbarkeit ernst zu nehmen und zum Beispiel im Gespräch mit dem Betriebsarzt gegenzusteuern, empfiehlt Unger.

Frauen sind von psychischen Leiden fast doppelt so häufig betroffen wie Männer. Allerdings tun sich Männer nach Einschätzung von Experten schwerer damit, sich derlei Erkrankungen einzugestehen. Unabhängig vom Geschlecht gilt: Je höher das Alter, desto mehr Fehltage durch seelische Erkrankungen. Zieht man die Branchen in Betracht, so ist es der Gesundheitssektor, in dem die Mitarbeiter besonders anfällig für psychische Leiden sind. Dahinter rangieren die öffentliche Verwaltung und der Verkehrsbereich.

Bei den Fallzahlen liegt das Saarland an der Spitze. Auf 100 Versicherte kommen hier fast 306 entsprechende Fehltage. In Bayern sind es nur 193. Eine schlüssige Erklärung dafür gibt es bislang noch nicht.

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