Weniger Vollzeitjobber mit Hartz IV

Berlin/Saarbrücken · Ein Mindestlohn sollte nicht zuletzt Vollzeitjobbern helfen, die auch noch Hartz IV beziehen. Nun liegt die Zahl dieser Aufstocker viel niedriger als bisher gedacht. Das liegt aber vor allem an Korrekturen in der Statistik.

Die Debatte über den Mindestlohn ist neu entflammt. Auslöser sind Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu Aufstockern, also Niedriglöhnern mit ergänzendem Hartz-IV-Bezug. Aus den Daten lässt sich folgern, dass der geplante Mindestlohn weniger Menschen aus Hartz IV heraushelfen kann als vielfach erhofft. Wie gestern bekannt wurde, lag die Zahl der vollzeitbeschäftigten Alleinstehenden, die zusätzlich staatliche Hilfe benötigten, im Juni vergangenen Jahres nur bei 46 814. Zwei Jahre zuvor waren es noch 79 802. Der deutliche Rückgang um 41,3 Prozent fußt jedoch in erster Linie auf einer veränderten Datenerhebung für die Beschäftigtenstatistik, wie eine BA-Sprecherin auf Anfrage mitteilte. Mit den Daten lassen sich Voll- und Teilzeitjobs detaillierter erfassen.

Auch die Zahl aller vollzeitbeschäftigten Aufstocker ist viel niedriger. Mitte 2013 waren es 218 446. Davor war die BA noch von 331 438 ausgegangen - über ein Drittel mehr. Im Gegenzug war in der Vergangenheit die Zahl der Teilzeitbeschäftigten mit Hartz IV stark unterzeichnet. Vor der statistischen Revision ging die BA noch von gut 244 000 aus. Nun sind es fast 363 000 Personen, also fast die Hälfte mehr. Dieser Effekt ist auch im Saarland zu beobachten. Für Mai 2013 weist die BA-Regionaldirektion 2572 vollzeitbeschäftigte Aufstocker aus, 1383 Personen oder 35 Prozent weniger als zwei Jahre zuvor. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten mit Hartz IV stieg dagegen um 1687 auf 11 955.

Die Oppositionsparteien hatten im Wahlkampf beklagt, dass für immer mehr Arbeitnehmer das Entgelt aus einem Vollzeitjob nicht zum Leben reicht, und damit die Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro begründet. Brigitte Pothmer, Arbeitsmarktexpertin der Grünen, sieht trotz neuer Datenlage keinen Grund, vom Mindestlohn abzuweichen. "Es ist erfreulich, dass die Zahl niedriger ist als gedacht. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns. Denn wir haben in Deutschland ein trauriges Alleinstellungsmerkmal, nämlich Stundenlöhne unter fünf Euro", sagte Pothmer unserer Zeitung. Der Mindestlohn sei kein sozialpolitisches Instrument, "sondern eine Maßnahme, die vor Ausbeutung schützen soll".

Nach Ansicht von Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sind nicht nur Aufstocker ein Problem: "Abgesehen davon, dass der Anteil von einem Sechstel der Vollzeitbeschäftigten unter den Aufstockern immer noch viel zu hoch ist und der Hartz IV-Regelsatz ohnehin nicht vor Armut schützt, ist Deutschland noch immer der traurige Europameister beim Niedriglohnsektor."

Die Gesamtzahl der erwerbstätigen Hartz-IV-Aufstocker ist zuletzt gestiegen. Im Juni 2013 waren es 1,317 Millionen Personen - knapp 15 000 mehr als ein halbes Jahr zuvor. Im Saarland legte deren Zahl von Dezember 2012 bis Mai 2013 um 3,8 Prozent auf 15 720 zu.

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