Russischer Sport wird wohl zugelassen Entsetzter Blick auf die Seychellen

Frankfurt · Die Welt-Anti-Doping-Agentur entscheidet heute vermutlich für die Rückkehr Russlands in die Sportfamilie.

 Das Schild der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada. Ihre Suspendierung wird nach drei Jahren womöglich nun aufgehoben.

Das Schild der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada. Ihre Suspendierung wird nach drei Jahren womöglich nun aufgehoben.

Foto: dpa/Maxim Shipenkov

Im Inselparadies der Seychellen trifft die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) am heutigen Donnerstag eine der schwersten Entscheidungen ihrer Geschichte. Bereits die Empfehlung ihrer Zulassungskommission, den Bann der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada zu beenden, ist weltweit auf Ablehnung und scharfe Kritik gestoßen. Es sieht aber so aus, als würde die Wada sich davon nicht beeindrucken lassen und die 2015 nach Aufdeckung des staatlich verordneten Dopings in Russland verhängte Sperre aufheben. Dies dürfte ihr höllischen Ärger einbringen und würde sie Glaubwürdigkeit kosten.

In die Schar der Gegner einer solchen Entscheidung hat sich auch der Bundesinnenminister eingereiht. „Für eine Wiedereinsetzung der Rusada fordert die Wada, dass die Untersuchungsergebnisse des McLaren-Reports vollumfänglich anerkannt werden und dass der Wada Zugang zu dem Moskauer Labor und den dortigen Dopingproben gewährt wird“, sagte Horst Seehofer: „Beides ist bisher nicht geschehen. Die Suspendierung sollte daher aufrecht erhalten werden, bis die von der Wada geforderten Kriterien zur Compliance mit dem Welt-Anti-Doping-Code erfüllt sind.“

Der für den Sport zuständige CSU-Politiker ist zumindest in dieser Frage mit dem Koalitionspartner SPD einig. „Ich bin nach wie vor dagegen, die Rusada zum jetzigen Zeitpunkt wieder zuzulassen“, sagte Dagmar Freitag, die Vorsitzende im Sportausschuss des Bundestages: „Man kann nicht erst seitens der Wada Bedingungen stellen und sie später für irrelevant erklären. Ich habe aber die Sorge, dass die Wada umfallen wird.“ Denn „auch Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), scheint Interesse daran zu haben, dass die Rusada wieder zugelassen“ werde.

Im Juli hatte Bach am Rande der Fußball-WM gesagt, dass Russland den Anti-Doping-Kampf reformiert habe und verkündet, dass das IOC bereit zum „willkommen des Landes zurück“ sei. Trotz des größten Doping-Skandals des 21. Jahrhunderts, mit Sabotage im Olympia-Labor der Winterspiele 2014 in Sotschi sowie rund 1000-fachen Manipulation von Doping-Proben, durften bei den Sommerspielen 2016 in Rio rund 270 Russen als neutrale Athleten starten. Bei den Winterspielen im Februar in Pyeongchang wurden 169 Russen zugelassen. Und nach der Schlussfeier hob das IOC die Sperre des Nationalen Olympischen Komitees des Landes auf.

„Am Willen des russischen Sports, zur Aufklärung des massiven Doping-Skandals vollumfänglich beizutragen, muss nach wie vor gezweifelt werden“, sagte Andrea Gotzmann, die Vorstandschefin der deutschen Anti-Doping-Agentur Nada. Dies geht auch aus Briefen des russischen Sportministers hervor, die im Mai und Juni bei der Wada eintrafen. Im ersten Brief forderte Pawel Kolobkow bei der Entscheidung über die Rusada, nur die „technischen Fähigkeiten“ bei den Kontrollen zu beurteilen und keine „anderen Parameter aus der Vergangenheit“ heranzuziehen. Im zweiten Schreiben bestätigte der Minister, die Ergebnisse des Schmid-Report anzuerkennen. In dem vom IOC beauftragten Bericht des ehemaligen Schweizer Bundesrats wird festgestellt, dass Beweise gefunden wurden, die „die Unterstützung oder die Kenntnis des Systems durch die höchste Staatsführung bestätigten“.

Aus dem McLaren-Bericht geht hervor, dass das russische Sportministerium verantwortlich für das Doping-System war. Warum das Wada-Zulassungsgremium dennoch die Empfehlung zur Aufhebung des Rusada-Banns gegeben hat, gibt Anlass zu Spekulationen über Umtriebe im Geheimen. In einer Wada-Mitteilung fünf Tage vor der Sitzung auf den Seychellen wurde der Vorschlag des Prüfgremiums mit „Führung erfordert Flexibilität“ und einer „nuancierten Interpretation“, um die Sache zu einem Ende zu bringen, verteidigt. „Als ehemalige Athletin wiederhole ich, was von sauberen Athleten aus aller Welt darauf zu hören ist: Wir haben die Sorge, dass die Wada-Spitze Flexibilität höher gewichtet als starke Führung“, schrieb Claudia Bokel, die frühere Athletensprecherin des IOC, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Für Grigori Rodschenkow, den früheren Moskauer Laborleiter und unter Zeugenschutz in den USA lebenden Kronzeugen des Skandals, wäre die Aufhebung der Rusada-Suspendierung „eine Katastrophe für olympische Sportideale, den Kampf gegen Doping und den Schutz von sauberen Sportlern“, schrieb er in der Zeitung „USA Today“: „Die Rusada ist ein zentraler Bestandteil des ausgeklügelten Betrugssystems und der Vertuschung positiver Dopingbefunde gewesen.“

Unterdessen hat Wada-Vizepräsidentin Linda Helleland angekündigt, der Empfehlung nicht zu folgen. „Wenn man für die Wiederzulassung Russlands stimmt, würde man dem Wunsch der Athletenkommissionen auf der ganzen Welt zuwider handeln“, sagte die Norwegerin, die Kandidatin für die Nachfolge von Wada-Präsident Craig Reedie ist. Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada, erneuerte gestern seine Vorwürfe. „Das ist ein echter Witz und ein Schlag ins Gesicht eines jeden sauberen Athleten“, sagte Tygart in Richtung der Wada: „Betrügst du mich einmal, ist es deine Schuld, betrügst du mich ein zweites Mal, ist es meine Schuld.“

 Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Foto: dpa/.
 Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. 

Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages. 

Foto: dpa/Gregor Fischer
 Der damalige Leiter des russischen Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenkow.

Der damalige Leiter des russischen Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenkow.

Foto: dpa/Valeriy Melnikov
 Travis Tygart, der Vorsitzende der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur.

Travis Tygart, der Vorsitzende der US-amerikanischen Anti-Doping-Agentur.

Foto: dpa/Maja Hitij

Unabhängig von der Wada-Entscheidung will der Internationale Leichtathletik-Verband darüber befinden, wann er die Sperre des russischen Verbandes aufhebt. „Wenn die Rusada ihre Arbeit aufnehmen darf, werden wir den Bericht darüber abwarten und dann beraten“, sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe. Die IAAF und das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sind die beiden Weltverbände, die Russland bis heute gesperrt haben.

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