Weltpolitik in Jerusalem statt Edathy-Affäre in Berlin

Berlin/Jerusalem · Zu Hause in Berlin ist für Angela Merkel die Vertrauenskrise in der großen Koalition wegen der Edathy-Affäre noch lange nicht ausgestanden. Doch in den kommenden Tagen agiert die Kanzlerin vor allem auf internationalem Parkett.

Heute und morgen will sie sich bei den fünften deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Jerusalem für eine noch engere Zusammenarbeit beider Länder einsetzen, deren Beziehungen immer vom millionenfachen Judenmord der Nazis geprägt sein werden.

Es geht um Innovation, Jugendaustausch, wissenschaftliche Zusammenarbeit. Und um den Nahostfrieden. Das Wort Merkels hat in Israel Gewicht. Deutschland gilt nach den USA als bester Freund Israels und die Kanzlerin als Israel besonders wohlgesonnen. Im Anschluss an die Konsultationen soll ihr morgen sogar der höchste zivile Orden Israels verliehen werden.

Und dennoch oder gerade deshalb dürfte Merkel dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vor Augen führen, welche Nachteile Israel im Falle eines Scheiterns der im Juli begonnenen Friedensgespräche drohen. Und wie groß die Friedensdividende wäre, falls er gemeinsam mit den Palästinensern die Hürden auf dem Weg zum Frieden doch noch ausräumt. Merkel teilt die Sorge von US-Außenminister John Kerry, diese Friedenschance könnte auf lange Zeit die letzte gewesen sein.

Pikant könnte die Jerusalem-Visite für die sozialdemokratische Seite der mit 16 Teilnehmern außergewöhnlich großen Ministerriege werden. Gut möglich, dass Netanjahu einen Eklat beim Besuch des SPD-Mannes Martin Schulz vor knapp zwei Wochen anspricht. Der EU-Parlamentspräsident hatte für Tumult im israelischen Parlament gesorgt, als er in einer auf Deutsch gehaltenen Rede auch die zum Teil harten Lebensbedingungen der Palästinenser kritisiert und über deren Versorgung mit Wasser geklagt hatte. Mitglieder der rechten Siedlerpartei verließen die Knesset unter Protest, Netanjahu warf Schulz eine einseitige Sicht auf den Nahostkonflikt vor. Merkel, heißt es, hielt die Reaktion der Rechten in der Knesset für übertrieben.

Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel könnte sogar persönlich in Erklärungsnöte geraten. Schon am Freitag wollte ein Journalist bei einer Pressekonferenz in Berlin vom Außenministerium wissen, ob es die Einschätzung des heutigen Wirtschaftsministers teile, im Westjordanland herrsche eine Situation vergleichbar mit dem damaligen Apartheid-Regime in Südafrika. Eine Sprecherin versicherte: "Israel ist mit Deutschland in einzigartiger Weise verbunden. Daran ist nichts zu rütteln."

Hintergrund: Vor knapp zwei Jahren hatte Gabriel nach einem Besuch in Hebron, wo Palästinenser Tür an Tür mit jüdischen Siedlern leben, auf seiner Facebook-Seite von einem rechtsfreien Raum für Palästinenser geschrieben und ergänzt, dies sei "ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt". Nach Protesten war der SPD-Vorsitzende damals etwas zurückgerudert, hatte aber betont, der Umgang mit den Palästinensern verursache "selbst bei jemandem wie mir, der Israel unterstützt, wirklich großen Zorn". Genug Streitfragen also, die sicherstellen könnten, dass die Koalition auf ihrer Nahost-Reise die Affäre Edathy für ein paar Tage in Berlin zurücklassen kann.

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