Weltbaumeister und Alltagsdesigner

Wolfsburg

 Im Steiner-Dialog: Arbeit von Bernd Ribbeck. Fotos: Kunstmuseum

Im Steiner-Dialog: Arbeit von Bernd Ribbeck. Fotos: Kunstmuseum

Wolfsburg. In Kenntnis der geistigen und künstlerischen Strömungen seiner Zeit, begabt mit einem fast erschreckendem Tatendrang und ganzheitlichen Ordnungswillen, hat Steiner nicht nur Gültiges über Nationalökonomie, Biologie, Medizin und Seelenwanderung gesagt, sondern auch die Realwelt mit einem lückenlosen Geflecht von Waldorf-Schulen, Kliniken, Banken und biologisch-dynamischen Bauernhöfen überzogen. Dornach, der Vatikan der Anthroposophen, ist eine hermetische Welt für sich, aber Marken wie Demeter und Firmen wie Weleda behaupten sich nicht nur im Supermarkt der Spiritualität.

Natürlich hielt sich der "Renaissancemensch" (Paul Virilio) auch für ein künstlerisches Universalgenie. Als Dichter, Maler und Bildhauer ist Steiner heute wohl zu Recht vergessen, als Musiker ist er nicht hervorgetreten. Aber als Architekt und Designer hat er Beachtliches geleistet. Mit seiner kristallin-gezackten, organisch schwellenden Formensprache hat er Klassiker der Moderne wie Frank Lloyd Wright oder Le Corbusier beeindruckt; noch das Basler Schaulager von Herzog & de Meuron wirkt wie ein Echo auf Steiners Meisterwerk, das zweite Goetheaneum.

Beton trotz Goethe

Im Wolfsburger Kunstmuseum ist jetzt Steiner als Alltagsdesigner und Weltbaumeister zu besichtigen. Die vom Weiler Vitra-Design-Museum zusammengestellte Schau konnte erstmals auf Bestände des Steiner-Archivs zurückgreifen; das erklärt wohl auch eine gewisse Nachsicht mit den dunkleren Seiten Steiners. Aber selbst wenn man seinem Geraune von arischen Wurzelrassen und negerhaften Pflanzenmenschen mit Skepsis begegnet: Steiners überwältigender Gestaltungsdrang war nicht aus der Zeit gefallen. Wenn Materie verdichteter Geist, der Kosmos der nach außen gestülpte Mensch ist, muss sich der Gedanke auch im Kleinsten ab- und ausdrücken. Form folgt dem Geist, und so entwarf Steiner alles selber: Die stahlhelmförmige Kuppel, das höhlenartige Interieur des ersten Goetheaneums, Lampen, Möbel, Schmuck, die wallenden Gewänder und Tanzschritte der Eurythmie, kolossale Skulpturen und Mysterienspiele; selbst um die Verpackung der Weleda-Kopfschmerztabletten kümmerte sich der Meister selber. Dornach, ursprünglich als Festspielhaus konzipiert, übertrifft an Geschlossenheit selbst Wagners Bayreuth.

Die Wolfsburger Schau ist in drei Teile gegliedert. Im ersten wird Steiners Leben und umfangreiches Werk - die Mitschriften seiner 5000 Vorträge füllen über 300 Bände - erstmals im Kontext seiner Zeit verortet: Lebensreform, Werkbund, Theosophie, Sozialismus, Jugendstil, Kubismus, Expressionismus. In der Abteilung "Praxis" werden Steiners Architekturmodelle und Design-Arbeiten gezeigt, in der dritten seine Wirkungsgeschichte skizziert. Steiner war kein Gegenaufklärer: Er stand zwar mit einem Fuß in der Goethezeit und älteren magischen Traditionen; aber er hat Beton so unbefangen als Baumaterial verwendet wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Mit seiner Theorie vom reinen "Leben der gegenstandslosen Formen" hat er Kandinsky, Mondrian und Paul Klee den Weg in die Abstraktion gewiesen. Rilke, Lasker-Schüler und Kafka näherten sich ihm ehrfürchtig, Paul Scheerbart und Christian Morgenstern waren seine Freunde. Sein Dornacher Heizhaus weist verblüffende Parallelen zu Mendelsohns Potsdamer Einsteinturm auf; seine Formensprache findet sich in den Bühnenbildern des expressionistischen Films wie in Gaudis sakralen Phantasmagorien wieder.

Wie so viele Gurus der Neuzeit wurde auch der "Astral-Marx" von devoten Schülern kanonisiert: Steiners "Metamorphosen" erstarrten bald zu Stein, die Lava seines Gedankenstroms erkaltete. Der "Ent-Steinerung" Steiners widmet sich die andere Hälfte der Doppelausstellung. Im Erdgeschoss sollen sich die Werke von zeitgenössischen Künstlern wie Tony Cragg, Helmut Federle und Katharina Grosse in einem "Dialog auf Augenhöhe" mit Steiner-Schautafeln begegnen. Der Bezug leuchtet freilich nicht immer ein. Die Dialektik von Innen und Außen, Astralleib und Körper, Natur- und Geisteswissenschaft ist nun mal keine anthroposophische Spezialität.

Nur einer hat Steiner wirklich produktiv beerbt: Der bekennende Anthroposoph Joseph Beuys wollte Kunst und Leben mit Fett und Filz zu "sozialen Plastiken" zusammenbasteln. Beuys' "Basisraum Nasse Wäsche", eine Installation mit Zinkrinnen, Seife und einem verschnürten Wäschebündel, nimmt den Meister nicht raunend beim Wort. Er setzt ihn mit unorthodoxem Humor und anarchischer Verve ins Bild und trägt so mehr zur Entsteinerung bei als beflissene Verbeugungen und bemühte Mystelei.

Bis 3. Oktober im Kunstmuseum Wolfsburg.

 Steiners erstes Goetheaneum, 1922 von Brandstiftern zerstört.

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 Steiners zweites Goetheaneum, das 1928 fertiggestellt wurde.

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