Was man tut, wenn nichts mehr geht

Der Bestseller „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, die Lebensschilderung eines Junkies, hat in den späten 70ern eine große Diskussion über Drogen ausgelöst. Christiane F. legt nun eine zweite Autobiografie vor.

 Christiane V. Felscherinow alias Christiane F. Foto: Verlag

Christiane V. Felscherinow alias Christiane F. Foto: Verlag

Foto: Verlag

Was tun, wenn es zu spät ist, wenn es kein Zurück mehr gibt? Weiterleben, am besten wie immer. Wenn das nicht geht, eben die Ruhe bewahren. Vielleicht an ein Wunder glauben. Oder sich erklären, eine Autobiografie schreiben, so wie es Christiane F. jetzt getan hat. Sie glaubt nicht an Wunder. Mit den schmerzhaften Folgen ihres exzessiven Lebens muss sie leben: Fibrose, der Vorstufe zur todbringenden Leberzirrhose. Eine Transplantation schließt sie aus, ebenso die Hoffung auf ein drittes, drogenfreies Leben.

Wie es dazu kam, zeichnet Christiane F., mittlerweile 52 Jahre alt, in dem als Autobiografie bezeichneten Buch "Mein zweites Leben" nach. Es ist das Vermächtnis einer Langzeitsüchtigen im Gewande einer oft rechtfertigenden Lebensbeichte. Sie knüpft zeitlich an "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" an. 35 Jahre ist es her, dass Christiane F. über Nacht Deutschlands bekanntester Junkie wurde und zum Symbol einer gerne an den Rand gedrängten bundesdeutschen Realität. Die Grenzen zwischen Mitleid, Ekel, Faszination und Sensation verschwammen.

Christiane F. hatte ihren Platz im kulturellen Gedächtnis der Nation gefunden, die Weichen für ihren bürgerlichen Neuanfang schienen gestellt: Zunächst zur reaktionären Großmutter aufs Abstellgleis in Kaltenkirchen abgeschoben, verbrachte Christiane F. zwar eine drogenfreie Zeit, wenn man von den Volksdrogen Alkohol und Haschisch absieht, machte ihren Hauptschulabschluss und begann eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Aber mit dem Umzug aus der verhassten Provinz nach Hamburg war es mit der "bürgerlichen" Auszeit vorbei. In Hamburg fand sie schnell Anschluss zur lebendigen Kunst- und Musikszene. Das urbane Leben gefiel ihr, das Kokain nicht minder. Sie debütierte als Sängerin und Schauspieler-in, führte ein aufregendes Leben als It-Girl mit den damaligen Szenegrößen, etwa den Einstürzenden Neubauten.

Dass sie trotz dieser positiven Entwicklungen und ihrer finanziellen Unabhängigkeit - bis heute lebt Christiane F. von den Buchtantiemen - dann doch wieder (und in der Folge immer wieder) voll auf Heroin gekommen ist, wirkt in der Autobiografie zunächst wie ein Zufall. Doch tatsächlich wird dahinter die altbekannte, bereits in Kindertagen traumatisierte Persönlichkeit deutlich, die sich nach bedingungsloser Liebe und Nestwärme sehnt, und dieser Erfüllung mit dem nächsten Schuss am nähesten zu kommem meint.

Ob eine Psychotherapie geholfen hätte, fragt sich der Leser. Sicherlich geholfen hat das Verleger-Ehepaar Keel. Aber selbst zu der sie zeitlebens umsorgenden Ersatzmutter Anna Keel brach der Kontakt ab. Zu stark dominierte die Drogensucht den Alltag, den Christiane F. im laxen Plauderton authentisch beschreibt - merklich unterscheidbar von den erläuternden Hintergrundkapiteln der Co-Autorin Sonja Vukovic.

Christiane F. hat viele Menschen in ihrem Leben verloren. Doch der schwerste Verlust war der von Philipp, ihrem Sohn. 2008 verlor sie das Sorgerecht für den damals Elfjährigen. Dass sie seit dessen Geburt keine Spritze angerührt hat, interessierte die Medien wenig. Für sie trägt die drogensüchtige Mutter selbst die Schuld. Seitdem betäubt Christane F. wieder ihren Schmerz mit allem, was sie noch verträgt. Ihr Ende ist absehbar, das weiß sie. Die Tantiemen ihres zweiten Buches werden ihr nichts nutzen; aber anderen süchtigen Eltern und deren Kindern, die die Christiane F.-Stiftung unterstützt.

Christiane V. Felscherinow und Sonja Vukovic: Christiane F. Mein zweites Leben. Deutscher Levante Verlag. 333 Seiten, 17,90 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort