Wahlkampf Wahlprogramme sind vergebliche Liebesmüh

Wahlprogramme werden maßlos überschätzt. Fast niemand liest sie, nur Spezialisten und Lobby-Gruppen nehmen sie in ihren Details zur Kenntnis. Für die interne Identitätsfindung der Parteien sind sie wichtiger als für die Wähler. Die Wahl entscheiden eher Gefühle: Bei wem fühlt man sich sicher, wem will man es zeigen? Wer wirkt sympathisch, wer nicht? Und ähnliche Fragestellungen mehr. Das Wichtige an Wahlprogrammen sind aus Sicht der Bürger allenfalls wenige Signal-Forderungen, die für das Ganze stehen. So gesehen ist die Lust, mit der sich die SPD-Funktionäre mal wieder in die Formulierungsschlacht um Details warfen, vergebene Liebesmüh. Weniger wäre mehr gewesen.

Bei den Sozialdemokraten fehlt es zudem ganz erkennbar an Koordinierung. Da kündigt Ex-Chef Sigmar Gabriel an, was er will und wann er es will. Landesfürsten stellen eigene Steuerkonzepte vor. Und dann kommen auch noch Ungeschicklichkeiten der Berliner Parteizentrale bei der Präsentation der Beratungsergebnisse dazu. Eine Ursache für all das ist wohl, dass Martin Schulz sehr spät als entscheidender Akteur an die Spitze kam - nun müssen Kandidat und Programm in Übereinstimmung gebracht werden. Schulz' Gründlichkeit in Ehren, aber wenn sie nun auch noch dazu führt, dass die SPD in den zentralen Bereichen Steuern und Rente ohne Konzept in den Sommer geht, weil noch nicht alles perfekt durchgerechnet ist, dann wird das genauso kontraproduktiv wirken wie das gestrige Chaos. Die SPD ist Herausforderer, da will man schon wissen, womit sie angreift, womit sie lockt. Gegenwärtig aber vermittelt sie nur, dass sie fast keine Steuern senken will und dass sie noch nicht in der Lage ist, das Thema Gerechtigkeit auf wenige eingängige Forderungen zu reduzieren.

Weil sie ihre Diskussionen nicht so inbrünstig führt wie die Genossen, steht die Union nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit. Man kann und muss ihre Programmarbeit aber mit dem gleichen kritischen Blick betrachten. Besser gesagt: ihre Nicht-Programmarbeit. Im Grunde haben CDU und CSU nur drei Kernbotschaften. Erstens Angela Merkel. Zweitens "Weiter so". Drittens Steuergeschenke. Soll es für Flüchtlinge nun eine Obergrenze geben oder nicht? CSU und CDU haben beides im Angebot. Formelkompromisse übertünchen Konflikte, etwa um die doppelte Staatsangehörigkeit oder die Ehe für alle. Hauptsache, der Streit der vergangenen Monate wird nicht fortgesetzt.

Harmonie war in Wahlkampfzeiten schon immer die Hauptstrategie der Union, die vielleicht auch deshalb seit zwölf Jahren Kanzlerin-Partei ist. Für die Verabschiedung des Wahlprogramms wird nicht mal ein Parteitag einberufen, so unwichtig ist das Papier. Es gleicht bei der Union eher einer Wundertüte. Man guckt später nach, was drin ist. Und ob überhaupt etwas drin ist. Aber beim Kauf stimmt das Gefühl.

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