Von Soldaten und Schneepflugfahrern

Berlin · Nur noch wenige Tage bis zur Preisvergabe auf der Berlinale. Noch gibt es keinen eindeutigen Favoriten. Wenig Chancen dürfte der deutsche Beitrag „Zwischen Welten“ von Feo Aladag haben, der in Afghanistan spielt.

 Mohamad Mohsen (r.) und Ronald Zehrfeld in „Zwischen Welten“. Foto: Kommerell/Independent Artists

Mohamad Mohsen (r.) und Ronald Zehrfeld in „Zwischen Welten“. Foto: Kommerell/Independent Artists

Foto: Kommerell/Independent Artists

Nun geht es in die Zielgerade bei der Berlinale. Am Samstag werden die Preise vergeben, ein großer Favorit ist im guten, aber nicht sensationellen Wettbewerb bisher nicht auszumachen. Beim derzeitigen Stand käme die Jury jedenfalls nicht am ungemein packenden Nordirland-Drama "'71" vorbei (wir haben berichtet) und auch nicht an "The Grand Budapest Hotel" - da könnte man sich einen Darstellerpreis für einen furiosen Ralph Fiennes als abenteuerlichen Concierge vorstellen. Vergäbe die Berlinale einen Preis für schräge Auftritte, müsste Schauspieler Shia LaBeouf die Hand aufhalten: Mitten in der Pressekonferenz zu "Nymphomaniac" verließ er nach einem rätselhaften Satz mit grimmigem Blick das Podium; bei der Gala zum Film dann wandelte er mit einer Papiertüte über dem Kopf über den Roten Teppich, auf der Tüte prangte der Satz "I'm not famous anymore". Eine Kritik am medialen Star-Getue? Selbstinszenierung? Oder einfach ein Anfall von Spätpubertät?

Nicht zu den Favoriten zählt der letzte von vier deutschen Filmen, der gestern seine Premiere erlebt hat, "Zwischen Welten" von Feo Aladag. Mit ihrem Debüt "Die Fremde" hat Aladag den Deutschen Filmpreis gewonnen, in ihrer zweiten Regie-Arbeit erzählt sie eine Geschichte aus Afghanistan, die sie auch vor Ort gedreht hat: Ein deutscher Soldat (Ronald Zehrfeld, verlässlich gut) soll mit seiner Truppe einen Außenposten verstärken; mit dabei ist Tarik, ein junger Übersetzer aus der Region (Mohsin Ahmady), der auch eine Art kultureller Vermittler ist zwischen dem Soldaten und seinem afghanischen Gegenüber, einem ehemaligen Kämpfer der Taliban. Zwischen dem Deutschen und dem Übersetzer beginnt eine Freundschaft, das gegenseitige Verständnis wächst, aber auch die Gefahr für Tarik: Die Taliban wollen ihn daran hindern, für ihren Feind zu arbeiten.

Auf visueller Ebene ist "Zwischen Welten" hervorragend. Kamerafrau Judith Kaufmann fängt Hitze, Staub und Schweiß mit atmosphärischen Bildern ein - am eindrücklichsten ist der Film, wenn nicht gesprochen wird. Wenn doch, wird es schnell schematisch. Die Figuren repräsentieren vor allem politische Positionen und äußern weniger Sätze denn Thesen, von "Frauen brauchen keine Universität" bis zu "Hass bringt keinen Frieden". Ehrenwert ist der Film, der für mehr Interesse am Land appelliert, packend aber letztlich nicht.

Drei Filme aus China stehen im Wettbewerb, der erste lief am Montag: "Tui Na", die Geschichte von blinden Masseurinnen und Masseuren, die in der Stadt Nanjing gemeinsam ein Institut unterhalten. Regisseur Lou Ye hat den Film mit Laien gedreht - blinden Masseuren und sehenden Darstellern; ohne klassischen Spannungsbogen erzählt er Episodisches aus dem Leben der Blinden, von Schwierigkeiten des Alltags, unglücklichen Liebesgeschichten, Sehnsüchten, Frustrationen und immer wieder vom distanzierten Verhältnis zu den Sehenden. Dokumentarisch anmutend bewegt sich die Kamera durch die engen Gänge des Instituts, in die kleinen Schlafsäle und auch in das Hinterzimmer eines ganz anderen, weniger medizinischen Massagesalons, in dem ein Blinder sein Glück bei einer Prostituierten findet. Atmosphärisch sehr dicht und gefühlvoll ist dieser Film - einer der stärkeren des Wettbewerbs.

Eine unterhaltsame Enttäuschung ist "Kraftidioten" vom norwegischen Regisseur Hans Petter Moland: Als der Sohn des Schneepflugfahrers Nils (Stellan Skarsgard) von Drogengangstern ermordet wird, beginnt der Vater einen Rachefeldzug, fängt mit den kleinen Fischen an, mordet sich stoisch nach oben und löst noch einen Bandenkrieg zwischen Norwegern und Serben aus (deren Anführer ein pelzmützentragender Bruno Ganz spielt). Eine schwarze Komödie aus dem Weiß des norwegischen Schnees, mit fantastischen Bildern der Natur, sehr viel Gewalt und Sinn für absurde Situationen. Allerdings: Kriminelle, die im Auto über Alltagsdinge palavern, Gangsterbosse mit bizarren Macken - das erinnert an die Zeit nach "Pulp Fiction" und "Fargo", als allzu viele Regisseure plötzlich Tarantino oder die Coen-Brüder sein wollten. Langweilig ist dieser Film nicht, oft sehr komisch - aber der lakonische Ton vom Beginn verliert sich und weicht einer Gangstergroteske, die am Ende eher auf makabre Gags setzt denn auf Logik. Immerhin: Man lernt, dass man als Gleitschirmflieger einen weiten Bogen um eine Schneefräse machen sollte - vor allem, wenn ein skandinavischer Rächer am Lenker sitzt.

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