Von der Liebe, ihrer Qual und den heiligen Augenblicken

Per Olov Enquists aktuelles „Buch der Gleichnisse“ verströmt ungemein viel Lebensreife. Das Alterswerk des schwedischen Autors ist ein wunderliches Buch mit wunderbaren Passagen, das der Leser selbst deuten muss.

Es ist ein Allgemeinplatz, dass man Autor und Erzähler eines Werkes nicht gleichsetzen sollte, selbst wenn autobiografische Bezüge ins Auge springen. Im Fall von Per Olov Enquists "Buch der Gleichnisse" lässt sich dieser Versuchung schwerlich widerstehen. Zu deutlich sind die biografischen Verweise. Allein: Was wäre am Ende gewonnen? Enquists Alterswerk verströmt so viel Lebensreife, dass es, um uns anzugehen, keiner "das-hat-er-selbst-erlebt"-Beglaubigung bedarf.

Im Fokus steht die Frage, inwieweit die Erfahrungen eines Lebens sinnstiftend sein können. Kein anderes Band, so die Grundthese des Romans, ist bindender als das der Liebe. Weshalb der Erzähler - ein namhafter schwedischer Autor, der dem 77-jährigen Enquist in vielerlei Hinsicht entspricht - die Frage, wer er geworden ist, umformuliert: Wo suchte und fand ich Liebe? Er tut es im Wissen darum, dass die genommenen Lebenswege ohne ihre Ursprünge nicht lesbar werden. Er misstraut aber dem Verlangen, "die Dinge dazu zu bringen, zusammenzuhängen". Was wir lesen, sind Entwürfe zu einer Biografie, verortet zwischen Kindheit und Tod, Glauben und jahrelanger Alkoholsucht.

"Das Buch der Gleichnisse" umfasst neun Kapitel. Ebenso viele Seiten fehlen in dem Notizblock seines Vaters, den Enquists Erzähler 76 Jahre nach dessen Tod erhält. Festgehalten darin: Liebeslieder an seine Frau. Dass die Mutter, eine sinnenfeindliche Pietistin, den Block wegen seiner freizügigen Inhalte verbrannt habe, war bis dahin Teil der familiären Überlieferung. Und Warnung an den späteren Schriftsteller, den Sündenfall des Dichtens zu meiden. Nun hält er den angesengten Block in Händen - Beginn einer Meditation über die Frage, was das große "Rätsel in seinem und dem Leben des Vaters" beinhalteten. Also drängt sich Enquists Erzähler wieder in den Spalt seiner (Familien-)Geschichte, um uns in mehr oder weniger kryptischen Gleichnissen von heiligen Augenblicken und verlorener Unschuld, von quälender Angst und religiöser Ehrfurcht zu berichten.

Es fehlt nicht an wunderbaren Passagen in diesem wunderlichen Buch. Da ist etwa die "Frau auf dem astfreien Kiefernholzboden", die den Erzähler im Alter von 15 Jahren in die Liebe einführte - zweifellos eine der schönsten Verführungsgeschichten der modernen Literatur. Daneben stehen jedoch Kapitel, die in ihrer monologisierenden Verdichtung unverständlich bleiben und in gleichnishafter Überspitzung ("er war der Auserkorene. Ein bisschen wie Jesus") biografische Schlüsselmomente bis an die Erträglichkeitsgrenze zurechtstilisieren. Am Ende wird daraus nicht der Liebesroman, den zu schreiben Enquists "Stellvertreter" der Nichte jener Frau ans Herz legt, die ihn als 15-Jährigen in die Liebe einführte. Enquist belässt es bei Bildern auf Projektionsschirmen. Sie zu deuten, bleibt uns vorbehalten. Per Olov Enquist: Das Buch der Gleichnisse. Ein Liebesroman. Hanser Verlag, 223 Seiten, 18,90 Euro.

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