„Viele Gesellschaften schätzen Eigentum mehr als die Menschen“

Mr. Winslow, was für einen Wagen fahren Sie? Winslow: Einen 2001er Mustang, denn ich mag ältere Autos. Und ich halte mich für einen ziemlich guten Highway-Fahrer. Ihre Hauptfigur Frank Decker reist mit seiner 1973er Corvette kreuz und quer durch die USA, um ein vermisstes Mädchen zu finden. Kennen Sie die Strecke? Winslow: Und wie! Ich habe den Trip, den ich im Roman beschreibe, schon hinter mich gebracht. Mit meiner Frau fahre ich jedes Jahr für mehrere Wochen durchs Land. Es fiel mir also leicht, mir vorzustellen, neben Frank in seiner Corvette zu sitzen. Würden Sie dabei wie er Bruce Springsteen hören? Winslow: Sicher, denn er ist Amerikas größter Straßenpoet. Aber ich hätte auch Jazz dabei: Sonny Stitt, Art Pepper, Dexter Gordon . Angeblich planen Sie weitere Romane mit Decker. Warum wird ausgerechnet er zur Serienfigur? Winslow: Wir haben uns all zu sehr an die typisch gebrochenen, ironischen Antihelden gewöhnt, oder? Ich selbst habe ja auch einige von ihnen in meinen Romanen beschrieben. Frank Decker ist anders: Er hat reine Absichten und eine klare Einstellung. In ihm gibt es keine inneren Dämonen, mit denen er zu kämpfen hat. Er ist ein Guter, er will die Verschwundenen aufspüren und heimbringen. Das allein spricht schon für eine Serie. Ich kann mir vorstellen, dass er immer wieder aufs Neue in den USA oder weltweit unterwegs ist . Basiert Ihr aktueller Vermisstenfall auf einer wahren Begebenheit? Winslow: Nun, er basiert auf vielen tausend realen Fällen. Viel zu viele Kinder in den USA verschwinden, und die Verbindung dieser Fälle zu Menschenhandel und Prostitution ist leider nur allzu real. Man nennt diese Kinder oft Ausreißer, aber ich bezeichne sie lieber als Weggeworfene, da sie oft aus sehr schlimmen Verhältnissen flüchten. Wenn sie dann plötzlich auf der Straße einer ihnen fremden Stadt stehen, sind sie leichte Beute für Verbrecher. Sie klingen besorgt und wütend. Winslow: Ja, das treibt mich um. Denn wir leben zunehmend in einer Gesellschaft ohne feste Wurzeln, in der die Familienstrukturen zerfallen. Viele Menschen fallen zu schnell durch Raster. Das ist nicht nur in den USA so - ich glaube, dass die meisten Gesellschaften Eigentum mehr schätzen und schützen als Menschen. Decker setzt sich bedingungslos für die Aufklärung seines Falles ein. Sähe die Welt besser aus, wenn alle Polizisten wie er wären? Winslow: Definitiv. Ich hacke ja auch nicht auf Polizisten rum. Die meisten von ihnen sind engagierte, hart arbeitende und kompetente Leute. Aber die Prioritäten werden falsch gesetzt, und deswegen gibt es kleine Budgets und zu wenig Personal. Ein großer Teil Ihres Romans spielt in New York . Erkennen Sie Ihre Geburtsstadt noch wieder, wenn Sie heute zu Besuch sind? Winslow: Sie hat sich fundamental verändert. Früher gab es am Times Square vor allem Crack-Ampullen und Nutten - heute regiert dort nur noch Mickey Mouse. An der Upper West Side wurde zu meiner Zeit dauernd mit Kleinwaffen rumgeballert - heute sind dort schicke Boutiquen. Frank Deckers Spur führt in die Promiszene New Yorks. Dass Sie VIPs mit Kinderprostitution in Verbindung bringen, ist gewagt. Winslow: Gute Noir-Romane haben schon immer versucht, hinter die Fassaden der Reichen und Schönen zu blicken. Genauso wie investigativer Journalismus, der immer seltener wird. Ich sage nicht, dass alle VIPs korrupt sind. Aber die Anziehungskraft zwischen diesen Leuten und der Korruption ist größer als anderswo, weil sie sich alles kaufen können. Sogar Menschen, Kinder. Einige Leute haben viel zu viel Geld, kämpfen aber gegen anständige Löhne oder eine gesetzliche Krankenversicherung. Wir sehen das allerdings nicht, denn die Promikultur ist eine Krankheit, die einen zarten Filter auf unsere Augen legt, sodass wir nur noch den Glamour sehen. Don Winslow: Missing New York . Verlag Droemer/Knaur, 400 Seiten, 14,99 Euro.

 Autor Don Winslow in entspannter Pose. Foto: Estevez/Droemer/Knaur

Autor Don Winslow in entspannter Pose. Foto: Estevez/Droemer/Knaur

Foto: Estevez/Droemer/Knaur

Mr. Winslow, was für einen Wagen fahren Sie?

Winslow: Einen 2001er Mustang, denn ich mag ältere Autos. Und ich halte mich für einen ziemlich guten Highway-Fahrer.

Ihre Hauptfigur Frank Decker reist mit seiner 1973er Corvette kreuz und quer durch die USA, um ein vermisstes Mädchen zu finden. Kennen Sie die Strecke?

Winslow: Und wie! Ich habe den Trip, den ich im Roman beschreibe, schon hinter mich gebracht. Mit meiner Frau fahre ich jedes Jahr für mehrere Wochen durchs Land. Es fiel mir also leicht, mir vorzustellen, neben Frank in seiner Corvette zu sitzen.

Würden Sie dabei wie er Bruce Springsteen hören?

Winslow: Sicher, denn er ist Amerikas größter Straßenpoet. Aber ich hätte auch Jazz dabei: Sonny Stitt, Art Pepper, Dexter Gordon .

Angeblich planen Sie weitere Romane mit Decker. Warum wird ausgerechnet er zur Serienfigur?

Winslow: Wir haben uns all zu sehr an die typisch gebrochenen, ironischen Antihelden gewöhnt, oder? Ich selbst habe ja auch einige von ihnen in meinen Romanen beschrieben. Frank Decker ist anders: Er hat reine Absichten und eine klare Einstellung. In ihm gibt es keine inneren Dämonen, mit denen er zu kämpfen hat. Er ist ein Guter, er will die Verschwundenen aufspüren und heimbringen. Das allein spricht schon für eine Serie. Ich kann mir vorstellen, dass er immer wieder aufs Neue in den USA oder weltweit unterwegs ist .

Basiert Ihr aktueller Vermisstenfall auf einer wahren Begebenheit?

Winslow: Nun, er basiert auf vielen tausend realen Fällen. Viel zu viele Kinder in den USA verschwinden, und die Verbindung dieser Fälle zu Menschenhandel und Prostitution ist leider nur allzu real. Man nennt diese Kinder oft Ausreißer, aber ich bezeichne sie lieber als Weggeworfene, da sie oft aus sehr schlimmen Verhältnissen flüchten. Wenn sie dann plötzlich auf der Straße einer ihnen fremden Stadt stehen, sind sie leichte Beute für Verbrecher.

Sie klingen besorgt und wütend.

Winslow: Ja, das treibt mich um. Denn wir leben zunehmend in einer Gesellschaft ohne feste Wurzeln, in der die Familienstrukturen zerfallen. Viele Menschen fallen zu schnell durch Raster. Das ist nicht nur in den USA so - ich glaube, dass die meisten Gesellschaften Eigentum mehr schätzen und schützen als Menschen.

Decker setzt sich bedingungslos für die Aufklärung seines Falles ein. Sähe die Welt besser aus, wenn alle Polizisten wie er wären?

Winslow: Definitiv. Ich hacke ja auch nicht auf Polizisten rum. Die meisten von ihnen sind engagierte, hart arbeitende und kompetente Leute. Aber die Prioritäten werden falsch gesetzt, und deswegen gibt es kleine Budgets und zu wenig Personal.

Ein großer Teil Ihres Romans spielt in New York . Erkennen Sie Ihre Geburtsstadt noch wieder, wenn Sie heute zu Besuch sind?

Winslow: Sie hat sich fundamental verändert. Früher gab es am Times Square vor allem Crack-Ampullen und Nutten - heute regiert dort nur noch Mickey Mouse. An der Upper West Side wurde zu meiner Zeit dauernd mit Kleinwaffen rumgeballert - heute sind dort schicke Boutiquen.

Frank Deckers Spur führt in die Promiszene New Yorks. Dass Sie VIPs mit Kinderprostitution in Verbindung bringen, ist gewagt.

Winslow: Gute Noir-Romane haben schon immer versucht, hinter die Fassaden der Reichen und Schönen zu blicken. Genauso wie investigativer Journalismus, der immer seltener wird. Ich sage nicht, dass alle VIPs korrupt sind. Aber die Anziehungskraft zwischen diesen Leuten und der Korruption ist größer als anderswo, weil sie sich alles kaufen können. Sogar Menschen, Kinder. Einige Leute haben viel zu viel Geld, kämpfen aber gegen anständige Löhne oder eine gesetzliche Krankenversicherung. Wir sehen das allerdings nicht, denn die Promikultur ist eine Krankheit, die einen zarten Filter auf unsere Augen legt, sodass wir nur noch den Glamour sehen.

Don Winslow: Missing New York . Verlag Droemer/Knaur, 400 Seiten, 14,99 Euro.

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Zur PersonDon Winslow (61) war Privatdetektiv, Kinobetreiber und Touristenführer, bevor er Ende der 80er Jahre seinen ersten Roman veröffentlichte. Inzwischen zählt er zu den wichtigsten Krimiautoren. Für den Roman "Tage der Toten" recherchierte er sechs Jahre lang über den Drogenkrieg in Mexiko . Der New Yorker lebt mit seiner Familie in Kalifornien. gke

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