Interview Danijel Cubelic „Viele führen ein Doppelleben“

Saarbrücken/Heidelberg · Weicht die Sexualität von der Norm ab, hat man es in der arabisch-muslimischen Welt schwer. Einige suchen Zuflucht in Deutschland.

 Danijel Cubelic, Heidelberger Islamwissenschaftler.

Danijel Cubelic, Heidelberger Islamwissenschaftler.

Foto: Cubelic/FOTO Borchard Angelika Loeff

Hinter den Großbuchstaben LGTB verbergen sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Transgender. Und verbergen ist leider das richtige Wort: In vielen muslimischen Ländern droht ihnen Verfolgung. Der Heidelberger Religionswissenschaftler Danijel Cubelic hält seit 2013 Vorträge zu diesem Thema – vor einigen Wochen sprach er auch in Saarbrücken.

Herr Cubelic, von wie vielen Betroffenen reden wir eigentlich?

CUBELIC Wir gehen von circa fünf Prozent LGBT-Anteil in der Bevölkerung aus. Das wären unter den Geflüchteten allein in Deutschland Zehntausende. Für LGBT-Personen ist die Motivation zu fliehen größer, weil sie staatliche Unterdrückung oder religiöse Verfolgung oft als Erste zu spüren bekommen.

Was geschieht, wenn sie in Deutschland ankommen?

CUBELIC Nehmen wir das Beispiel einer syrischen Transfrau, die im Pass noch ein Mann ist und in der Erstaufnahmestelle in einem Raum mit acht Männern lebt. Das führt schnell zu Streit und sogar Gewalt. Sich einen Raum mit fremden Menschen zu teilen, ist an sich schon belastend. Gerade als sehr viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, waren die Mitarbeiter der Einrichtungen und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überfordert oder hielten das Thema für nicht so wichtig. Mittlerweile wurden in einigen Bundesländern bereits geschützte Unterkünfte eingerichtet. Wir haben aber immer noch zu wenige davon.

Wenn die syrische Transfrau jetzt einen Asylantrag stellt, begründet sie den dann mit staatlicher Verfolgung oder mit dem Bürgerkrieg?

CUBELIC Wer Probleme aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität hat, muss seine Situation genau schildern. Da viele wegen der Erfahrungen in ihren Herkunftsländern Angst vor staatlichen Autoritäten haben, haben sie auch in Deutschland erst mal eine große Angst davor, Details über ihr Leben preiszugeben. Bei den Menschen aus Syrien war das deshalb erst mal so, dass sie ihren Status als Kriegsflüchtlinge angegeben haben.

Wie kann man sich die Verfolgung in den Herkunftsstaaten vorstellen?

CUBELIC Die Situation ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Dennoch gibt es bestimmte Muster: Im Fokus stehen zunächst einmal alle, die sich für Sichtbarkeit und gleiche Rechte einsetzen. Einige werden mit Gewalt eingeschüchtert, andere landen im Gefängnis oder müssen sich demütigenden Untersuchungen unterziehen, bei denen kontrolliert wird, ob sie Analverkehr hatten. Außerdem kommt es zu Drangsalierungen und Verhören. Doch das ist nur die Seite staatlicher Gewalt: Oft sind es religiöse Gruppen, Milizen oder die Familie, die LGBT-Menschen verfolgen. Schlimmstenfalls kommt es zu Mord.

In welchen Ländern ist die Verfolgung am schlimmsten?

CUBELIC Es gibt bestimmte Gesellschaften, in denen auf nicht-konformes Sexualverhalten die Todesstrafe steht, zum Beispiel Saudi-Arabien, Sudan, Mauretanien, Iran und Afghanistan. In anderen Ländern ist zwar Homosexualität offiziell nicht kriminalisiert, wird aber mit Hinweis auf Islam oder „öffentliche Moral“ verfolgt – wie zum Beispiel in Ägypten oder dem Irak. Gleichzeitig gibt es aber auch in all diesen Gesellschaften viele mutige Menschen, die die Dinge ändern wollen. Die liberalsten Gesellschaften sind der Libanon und Tunesien, wo es mittlerweile zivilgesellschaftliche Organisationen gibt.

Gibt es Gruppen, die es härter trifft als andere?

CUBELIC Ja, die Verfolgung richtet sich oft am stärksten gegen Transpersonen – sie stellen die Geschlechterrollen am radikalsten in Frage. Aber auch Männer, die einfach nur feminin wirken, sind schnell Gewalt ausgesetzt. Lesbische Frauen erfahren durch die Familien und die Gesellschaft Restriktionen.

Wie schützen sich die Betroffenen?

CUBELIC Viele versuchen, sich mit dem Status Quo zu arrangieren, lassen sich von ihren Eltern verheiraten und leben ein Doppelleben. Unter Aktivisten gibt es auch Scheinehen zwischen Schwulen und Lesben. Partyorganisatoren arrangieren sich mit Bestechungsgeldern an die Polizei.

Sie sagen, es gehe bei diesem Thema um viel mehr als nur um Sexualmoral. Wie meinen Sie das?

CUBELIC Es hat auch eine geschichtliche Dimension. In der muslimischen Welt gab es über Jahrhunderte eine reiche Tradition von homoerotischer Lyrik. Wir haben auch zahlreiche Quellen, die belegen, dass Menschen, die sich nicht an Geschlechterrollen hielten, sowohl in religiösen Kontexten als auch an Herrscherhöfen wichtige Rollen inne hatten. Auch wenn es immer schon islamische Gelehrte gab, die damit nicht einverstanden waren.

Wie konnte diese Kultur der Toleranz in Ablehnung und Verfolgung umschlagen?

CUBELIC Durch die Begegnung mit Europa. Im 19. Jahrhundert galten in Europa ganz strikte Moralvorstellungen, Homo- und Transsexuelle wurden verfolgt. Wir haben zahlreiche Berichte von Europäern, die zu dieser Zeit in arabische Gesellschaften reisten und dann völlig fassungslos waren angesichts der sexuellen „Unmoral“ der Araber. Als Reaktion versuchte man, die arabische Welt zu „zivilisieren“. Die Europäer führten dort im Laufe des 19. Jahrhunderts eine neue, strengere Strafgesetzgebung ein. Und die Araber begannen, LGBT zu verfolgen.

Sie sind selbst homosexuell und haben in arabischen Ländern gelebt. Haben Sie Verfolgung auch am eigenen Leib erfahren?

CUBELIC Nein, weil ich immer sehr, sehr vorsichtig war. Als Europäer ist man in vielen Ländern in einer privilegierten Situation, die nicht mit der lokaler Aktivisten zu vergleichen ist. Dennoch ist es wichtig, mit Aktivisten vor Ort in Austausch zu stehen, um die jeweiligen Verhaltensregeln zu kennen.

Wie gehen LGBT mit der neu erlangten Freiheit in Deutschland um?

CUBELIC Viele unterschätzen die Tatsache, dass sie in Deutschland mit neuen Problemen konfrontiert sind, zum Beispiel mit Rassismus bei der Job- und Wohnungssuche und auch innerhalb der LGBT-Community. Geflüchtete werden nicht als Individuen wahrgenommen, sondern sollen exotische sexuelle Fantasien von heißblütigen Arabern erfüllen. Gleichzeitig sind wir eben selbst längst noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem LGBT-Personen frei von Diskriminierung leben können. Eine Umfrage im Rhein-Neckar-Gebiet ergab kürzlich, dass viele LGBT sich immer noch nicht trauen, sich öffentlich zu küssen oder Händchen zu halten. Als Dragqueen abends unterwegs zu sein, heißt auch in Deutschland noch, dass man mit Anfeindungen rechnen muss.

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