Viel mehr als Voodoo

Saarbrücken. Kultur blüht auf, wo der Boden fruchtbar ist. Auf Haiti war das seit der Entdeckung durch Kolumbus 1492 der Fall. Der Welteroberer in Diensten der spanischen Krone ernannte die Insel, von den Ureinwohnern Aytí genannt, zu Hispaniola, der ersten spanischen Kolonie in der Neuen Welt. 1691 vertrieben französische Siedler die Spanier und nannten ihre Kolonie Sainte Domingue

Saarbrücken. Kultur blüht auf, wo der Boden fruchtbar ist. Auf Haiti war das seit der Entdeckung durch Kolumbus 1492 der Fall. Der Welteroberer in Diensten der spanischen Krone ernannte die Insel, von den Ureinwohnern Aytí genannt, zu Hispaniola, der ersten spanischen Kolonie in der Neuen Welt. 1691 vertrieben französische Siedler die Spanier und nannten ihre Kolonie Sainte Domingue.

Neben dem nahe gelegenen Kuba gehörte Haiti zu den begehrtesten Inseln der Karibik, Grund dafür waren die Reichtümer der Natur: Zucker, Kaffee, Baumwolle und Indigo. Die riesigen Plantagen wurden von aus Afrika verschleppten Sklaven bearbeitet. Zur Zeit der Französischen Revolution erfuhren sie von der Abdankung ihrer Herren in der Alten Welt - und wollten die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als erste auch in der Karibik umsetzen.

1791 rief der Voodoo-Priester Dutty Boukman während einer Messe die Menschen zum Aufstand auf, propagierte das Ende der Sklaverei und die Unabhängigkeit von Frankreich. 1801 gab ein anderer ehemaliger Sklave, François-Dominique Toussaint L'Ouverture, dem jungen Staat eine Verfassung und wurde so zu einem der ersten Anführer der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Bis heute gilt er als Nationalheld. Napoleon Bonaparte schickte daraufhin Kriegsschiffe. Toussaint wurde nach Frankreich verschleppt. Dort starb er im Kerker. Weil Napoleon die Sklaverei wieder einführen wollte, kam es abermals zum Aufstand. 1803 wurden die französischen Truppen aufgerieben, Napoleon, in Europa in Kriege verstrickt, konnte keine weiteren Soldaten entsenden. Am 1. Januar 1804 erklärte der Rebellenführer Jean-Jacques Dessalines Haiti zur freien Republik.

Der einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der Neuen Welt hatte aber drastische Folgen: Ein Drittel der Bevölkerung war in den Kämpfen umgekommen, die meisten Plantagen zerstört. Die Kolonialmächte erkannten den Staat nicht an, und er wurde zum Schlachtfeld unterschiedlicher hegemonialer Interessen. Ein Staatswesen konnte sich nicht entwickeln, Diktatoren wie die Duvaliers beuteten das Volk aus und trieben das Land in immer neue Krisen. Die USA ließ Truppen einmarschieren, von 1915 bis 1934 hielten sie das französischsprachige "Niggerland" besetzt.

Das ist der Stoff der haitianischen Kultur. Der Schriftsteller Jacques Roumain, Jahrgang 1907, beschrieb die Unterdrückung des Volkes in "Herren über den Tau" aus der Sicht der Bauern. Vom einfachen Volk erzählte auch Jacques Stephen Alexis, 1922 geboren, der aus der Oberschicht stammte, aber die Kommunistische Partei Haitis gründete. Von einem Besuch in der Sowjetunion brachte er Geld mit, das er unter den Bauern verteilte mit der Aufforderung, sich gegen "Papa Doc" aufzulehnen. Die Schergen Duvaliers folterten ihn zu Tode. René Depestre, Jahrgang 1926, umkreist in seinem literarischen Werk das tragische Schicksal seines Volkes, er lebt seit langem in Südfrankreich.

Dem Berliner Schriftsteller Hans Christoph Buch verdanken wir die Übersetzungen der Bücher dieser haitianischen Autoren. Buch, der Nachfahren aus Hessen ausgewanderter Verwandter in Haiti hat, ist selbst immer wieder mit Büchern über die Insel und die irre Voodoo-Diktatur der Duvaliers hervorgetreten. Er schrieb "Die Hochzeit von Port-au-Prince" (1984); "Haiti Chérie" (1990) und zuletzt "Tanzende Schatten oder Der Zombie und ich" (2004). Buch fügt der Kultur Haitis den Tanz und die Malerei hinzu, "eine naive Kunst voller Hintersinn und Ironie". Die altehrwürdige Apotheke seines Großvaters in Port-au-Prince in Hafennähe wurde mitsamt dem Haus der Familie letzte Woche ein Opfer der Naturkatastrophe. Nun, wo Haiti unregierbar geworden ist und unter Kuratel der Uno, sei die Chance gekommen, das Land neu aufzubauen, glaubt Hans Christoph Buch.

Ein geschundenes Land, das einst halb Europa mit Zucker versorgte und heute selbst Zucker importieren muss. Die "karnevaleske Stimmung", die zum Lebensgefühl Haitis gehöre und einen Teil der reichen Kultur ausmache, könne zurückkehren, auch wenn es lange dauern werde, glaubt Buch.

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