Verpuffte Verschwörung

Saarbrücken. Man könnte Fjodor Dostojewskis Romane heute vordergründig als "alte Schinken" bezeichnen: 1000 Seiten starke, figurenreiche, psychologisch komplexe Epen über die unruhigen Zeiten im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Doch finden wir in ihnen stets auch das, was Weltliteratur ausmacht - Perspektiven, die weit über einen historischen Zeitgeist hinausweisen

 Der Bischof mit dem irren Blick: Nina Schopka, vorne; hinten Mitterstieler als Stawrogin. Fotos: Jauk

Der Bischof mit dem irren Blick: Nina Schopka, vorne; hinten Mitterstieler als Stawrogin. Fotos: Jauk

Saarbrücken. Man könnte Fjodor Dostojewskis Romane heute vordergründig als "alte Schinken" bezeichnen: 1000 Seiten starke, figurenreiche, psychologisch komplexe Epen über die unruhigen Zeiten im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Doch finden wir in ihnen stets auch das, was Weltliteratur ausmacht - Perspektiven, die weit über einen historischen Zeitgeist hinausweisen. Das mag ein Grund für die Dostojewski-Renaissance sein, die deutschsprachige Bühnen erfasst hat. Dabei ist es alles andere als leicht, einen politischen Roman wie "Die Dämonen" von 1873 theatergerecht zu komprimieren. Regie-Legende Peter Stein brauchte 2010 eine Aufführungszeit von elfeinhalb Stunden, auf zwei Tage verteilt - da ist wahrlich Durchhaltevermögen gefragt.

Deutlich weniger opulent ist da Albert Camus' dreieinhalbstündige Dramatisierung "Die Besessenen" von 1959 geraten, auf die auch Regisseurin Daniela Kranz zurückgreift, deren Inszenierung am Samstag in Saarbrücken Premiere feierte. Allerdings kommt auch Camus nicht mit weniger als 23 Bühnenfiguren aus, um sein Panoptikum verschiedenster Weltbilder rund um eine Gruppe anarchistischer Revolutionäre zu entfalten. Kranz reduziert zwar nochmal auf 17 Protagonisten, doch ist das Figuren-Gewusel auf der von Jutta Burkhardt bis zu den Fenstern der Backstein-Rückwand komplett geöffneten Feuerwachen-Bühne bisweilen schlicht verwirrend. Was auch daran liegt, dass Kranz ausgerechnet auf Camus' Erzähler verzichtet, der Orte, Biografien und Hintergründe erläutert. Ansonsten aber bleiben Kranz und Dramaturgin Ursula Thinnes recht nahe an der Vorlage.

In deren Zentrum steht Nikolai Stawrogin (Georg Mitterstieler) - eine Art Mensch gewordener Teufel, jede Moral verachtend. Einer, der vergewaltigt, Menschen ins Unglück stürzt, dabei noch fatale Attraktivität auf andere ausübt. Auf gleicher Höhe agiert der skrupellose Pjotr Werchowenski (Jonas Schlagkowsky). Mit der Gründung einer terroristischen Vereinigung will er die politischen Verhältnisse ändern. Um Stawrogin als Führer seiner Gruppe zu gewinnen, schreckt Pjotr auch vor Mord nicht zurück. Zu den weiteren Figuren, die sich um die beiden scharen, gehören der gottgläubige Schatow (Heiner Take) und der Ingenieur Kirillow (Pit-Jan Lößer), der aus rein philosophischen Erwägungen seinen Selbstmord plant - die höchste Form der Freiheit, wie er meint. Kein Wunder, dass den Existenzialisten Camus diese Figur besonders beeindruckte. Zudem gibt es da unter anderem noch den gealterten liberalen Hauslehrer Stepan Werchowenski (Klaus Müller-Beck), der von der Heiratsintrigen spinnenden Warwara Stawrogina (Saskia Petzold) ausgehalten wird. Die beiden verkörpern als bemitleidenswerte Vertreter eine Elterngeneration, die keinen Anschluss mehr an das zynische Treiben der Jungen findet. Andererseits sind sie Teil des verhängnisvollen Netzes aus Abhängigkeiten, Verdächtigungen und Verleumdungen, das sich im Laufe des Stücks entspinnt.

Was "Die Besessenen" heute noch interessant macht, ist vielleicht weniger die noch von Camus vor dem Hintergrund des real existierenden Sozialismus bewunderte prophetische Vorwegnahme eines diktatorischen Kommunismus durch Dostojewski. Vielmehr sind es wohl Fragen nach Moral, Eigenverantwortung und Werteverlust. Etwa wenn der Revolutionär Schigalew (Marcel Bausch) in einer Brandrede ein Gesellschaftsmodell entwickelt, nach dem neunzig Prozent der Menschen hart arbeiten sollen, während sie von den restlichen zehn Prozent uneingeschränkt beherrscht werden. Es kann einem da durchaus der kürzlich veröffentlichte Armutsbericht der Bundesregierung in den Sinn kommen, nach dem die reichsten zehn Prozent aller deutschen Haushalte mittlerweile 58 Prozent des gesamten Privatvermögens besitzen - eine Konzentration, die von Jahr zu Jahr zunimmt.

Aber man muss sich gar nicht zu derartigen Parallelen aufschwingen. Leider ist die Saarbrücker Inszenierung allerdings auch so ziemlich mutlos geraten. Bis auf die moderne Kostümierung (Mitterstieler etwa als Beau mit Sonnenbrille und Anzug) findet sich hier kein Versuch, Anschluss an das Hier und Jetzt zu finden. Das ist doppelt schade, weil es andererseits auch kaum gelungen ist, einfach "nur" spannendes Theater mit einem Fokus auf die dramatischen menschlichen Konflikte zu bieten, die das Stück auch bereit hält. Stattdessen plätschern viele Dialoge vor sich hin, bleiben die meisten Schauspieler weitgehend konturlos oder bekommen erst gar keine Chance, sich frei zu spielen. Im Bestreben, bloß alle Handlungsstränge der Vorlage in begrenzter Spielzeit unterzubringen, verpuffen selbst zentrale Passagen wie der nihilistische Exkurs Kirillows oder die aufgehitzte Mordverschwörung (die hier mal so nebenbei auf einer Treppe stattfindet). Doch es gibt auch rare Höhepunkte, immer dann, wenn Figuren ein Profil erhalten - wie Klaus Meininger zum Beispiel als versoffener, abgehalfterter Hauptmann Lebjadkin. Mit rutschender Hose und Russenmütze auf dem Kopf taumelt er zu Ivan Rebroffs "Kalinka" über die Bühne. Und plötzlich wird etwas von der Verzweiflung, dem Hass, der Hoffnungslosigkeit - den großen Gefühlen eben - spürbar, die man über weite Strecken vermisst.

Die nächsten Aufführungen: 2., 3., 4. und 5. April. Karten:

 Klaus Meininger gelingt als Säufer ein großer Auftritt.

Klaus Meininger gelingt als Säufer ein großer Auftritt.

Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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