Vernünftige Bürger, unvernünftiger Staat

Berlin · Die "Rente mit 63" erfreut sich äußerst großer Beliebtheit: Bereits über 160 000 Personen haben den abschlagsfreien Renteneintritt mit 63 Jahren beantragt - weit mehr, als die Bundesregierung angenommen hat.

Zusätzlich zu den Personen, die auch ohne die neue Regelung vorzeitig in Rente gegangen wären, hatte sie lediglich mit 50 000 weiteren Antragsstellern gerechnet. Die Kosten - und damit die langfristigen Belastungen für die noch gut gefüllte Rentenkasse - werden damit sehr viel höher sein als zunächst kalkuliert.

Die für das Jahr 2015 angekündigte Beitragssatzsenkung von derzeit 18,9 auf 18,7 Prozent, die ohnehin schon geringer ausfällt, als es die Höhe der Rücklagen der Rentenversicherung eigentlich zulassen würde, könnte damit nur von kurzer Dauer sein. Aufgrund der Kostenbelastungen aus dem Rentenpaket der Bundesregierung prognostiziert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Beitragssatzsteigerungen über die bislang prognostizierten Werte hinaus, wenn der Bundeszuschuss zur Rentenkasse nicht erhöht wird. Außerdem werden die zukünftigen Rentenanpassungen geringer ausfallen.

Aber kann man von dieser Entwicklung tatsächlich überrascht sein? Die Vergangenheit zeigt, dass Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gehen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Vor allem dann, wenn die Anreize derart klar auf der Hand liegen wie bei der Rente mit 63. Wenn die 45 Jahre mit relevanten Beitragszeiten erreicht sind - dazu zählen nicht nur die Beschäftigungsjahre, sondern auch Zeiten der Kindererziehung und Pflege, Wehr- und Zivildienst sowie Bezugszeiten von Arbeitslosengeld I -, kann man mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen. Jedes zusätzliche Jahr in Beschäftigung würde den individuellen Rentenanspruch zwar noch steigern, aber die Phase des Rentenbezugs verkürzen. Für die meisten Menschen lohnt sich diese Rechnung nicht. Ihre Entscheidung, frühzeitig in Rente zu gehen, ist daher durchaus rational. Die Rente mit 63 wird allerdings auch keine Frühverrentungswelle auslösen. Dafür ist der begünstigte Personenkreis zu klein und die Laufzeit der Sonderregelung zu kurz.

Die Einführung der Rente mit 63 war ein problematisches Signal zum falschen Zeitpunkt. Jahrzehntelang war die Rentenreformpolitik auf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ausgerichtet, was angesichts des fortschreitenden demografischen Wandels und dem nahenden Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der einzig richtige Weg war. Diese Politik hat auch ihre Wirkung gezeigt. Das Renteneintrittsalter ist langsam aber stetig gestiegen, weil die Möglichkeiten des vorzeitigen Renteneintritts begrenzt und die individuellen Kosten erhöht wurden. Mehr ältere Menschen sind jetzt in Beschäftigung. Die Rente mit 63 war ein Bruch mit dieser Reformpolitik. Zwar betont die Bundesarbeitsministerin stets, dass sie aus der persönlichen Sicht der Anspruchsberechtigten verdient sei - was niemand bestreitet. Doch letztlich handelt es sich primär um ein Wahlgeschenk ohne erkennbaren nachhaltigen sozialpolitischen Nutzen. Den Löwenanteil der Kosten werden künftige Generationen tragen, aber auch die Rentner, weil ihre Renten künftig weniger stark ansteigen werden.

Anika Rasner ist Rentenexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

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