Verlängerung in Detroit

Meinung · US-Präsident Obama sendet an die Automobilindustrie ein doppeltes Signal. Er verspricht, das Symbol des einstigen Erfolgs der amerikanischen Mittelklasse nicht einfach verschwinden zu lassen. Gleichzeitig beharrt der Präsident auf Einschnitten, die weit über die bestehenden Sanierungspläne aus Detroit hinausgehen. Die Ambivalenz dieser Botschaft ist beabsichtigt

US-Präsident Obama sendet an die Automobilindustrie ein doppeltes Signal. Er verspricht, das Symbol des einstigen Erfolgs der amerikanischen Mittelklasse nicht einfach verschwinden zu lassen. Gleichzeitig beharrt der Präsident auf Einschnitten, die weit über die bestehenden Sanierungspläne aus Detroit hinausgehen. Die Ambivalenz dieser Botschaft ist beabsichtigt. Ebenso wie die letzte Gnadenfrist, die Obama General Motors und Chrysler einräumt. Mit der sehr realen Möglichkeit einer Insolvenz nach Kapitel 11 des amerikanischen Konkursrechts schwingt er über Gläubigern und Gewerkschaften die Drohkeule. Diese wissen nun, dass ihnen ganz andere Konsequenzen drohen, wenn sie nicht zu weiteren Zugeständnissen bereit sind.Damit geht auch das Zittern bei der GM-Tochter Opel weiter, deren Schicksal Bundeskanzlerin Merkel von den Entscheidungen in Washington abhängig gemacht hat. Lässt Obama Detroit fallen, gehen auch in Rüsselsheim die Lichter aus. Wahrscheinlich scheint dieses Horrorszenario hingegen nicht. Denn der US-Präsident versteht, dass mehr auf dem Spiel steht als die Zukunft von zwei Konzernen. Er erinnert seine Landleute an den Anteil, den Detroit am Entstehen des Wohlstands für Millionen von Amerikanern hatte. Und er zeigt Sensibilität für den hohen Preis, den die Menschen im so genannten Rostgürtel, dem alten Industrierevier der USA, für den Niedergang der Branche schon gezahlt haben. In diesem Kontext war es richtig, daran zu erinnern, wer die Verantwortung für die Probleme der Industrie trägt. Gewiss nicht die Beschäftigten, die frühmorgens und spätnachts an den Fließbändern der Fabriken die Autos montieren. Sie sind die Leidtragenden unternehmerischer Fehlentscheidungen, die Firmen an den Rand der Pleite führten. Da ist es konsequent, GM-Chef Rick Wagoner in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken. Von der falschen Modellpolitik über rosige Erwartungen bis hin zu seinem Einschweben im Privatjet in Washington hat der Mann hinreichend unter Beweis gestellt, keinen Bezug zur Wirklichkeit zu haben. Ein echter Neuanfang bei General Motors kann mit dem alten Management nicht funktionieren. Die Frage bleibt, warum Obama solche Konsequenzen nicht auch in der Bankenwelt gezogen hat, die mit 2,25 Billionen Dollar deutlich mehr an Staatshilfen erhalten hat als die Autobauer. Das Bangen der Betroffenen geht in die Verlängerung. 30 Tage bei Chrysler, 60 Tage bei GM. Die Hoffnung bleibt, dass die Verantwortlichen den Aufschub nutzen, eine lebensfähige Industrie zu schaffen, die nicht dauerhaft am Staatstropf hängt.

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