Vergnügliche Raffzahn-Story

Saarbrücken · Riesenapplaus gab es am Samstag für das darstellerische Feuerwerk in der Erbschleicher-Komödie „Volpone“. Gastregisseur Thomas Schulte-Michels gewinnt dem Stück von 1607 sarkastische Gegenwärtigkeit ab.

 Der reiche Volpone simuliert als Sterbenskranker – und hat seinen Spaß am bösen Spiel mit hoffnungsfrohen Erben. Foto: Björn Hickmann

Der reiche Volpone simuliert als Sterbenskranker – und hat seinen Spaß am bösen Spiel mit hoffnungsfrohen Erben. Foto: Björn Hickmann

Foto: Björn Hickmann
 Notfalls trägt Dr. Flause (Andreas Anke) die Kinder auch noch selbst aus. Seine Kollegin Betty Bauer (Gertrud Kohl) hört ihn ab. Foto: Bettina Stöß

Notfalls trägt Dr. Flause (Andreas Anke) die Kinder auch noch selbst aus. Seine Kollegin Betty Bauer (Gertrud Kohl) hört ihn ab. Foto: Bettina Stöß

Foto: Bettina Stöß

Dummköpfe wachsen wie Disteln, erkennt der reiche Raffzahn Volpone (Georg Mitterstieler) und spielt fürderhin den Todkranken, um Erbschleicher in einen ruinösen Wettbewerb zu locken. Corvino (Klaus Müller-Beck) verkuppelt ihm die eigene Ehefrau, Corbaccio (Klaus Meininger) enterbt den Sohn, der Notar (Marcel Bausch) biegt das Recht. Als Spielführer der Abzocker-Intrige fungiert jedoch nicht Volpone selbst, sondern Mosca, sein Diener.

Wie Gast-Schauspieler Thomas Schmidt dies in Saarbrücken anstellt, das ist eine Wonne. Laut Name verkörpert er eine "Schmeißfliege", doch Schmidt erscheint als zierliches Kerlchen in Goldlamé-Anzug, oft in Denkerpose. Schmidt kippt die Figur weg von der üblichen buckelnden Schmierlappen-Attitüde, ziseliert einen feinnervigen Intellektuellen, der die Worte wie mit dem Hackebeilchen trennt oder als Maschinengewehrsalve losfeuert. Ein profitorientierter Manager der Täuschung, den die Bösartigkeit seines Auftraggebers ekelt.

Mitterstieler strampelt tatsächlich wie ein Kind vor Freude an seinem Pflegebett-Galgen, wenn er seine Freunde reinlegt. Man hat ihn als Jesus-Karikatur hergerichtet und in Windeln gepackt. Mitterstieler röchelt und sabbert, er pöbelt und furzt und wirkt hinreißend komisch. Dass dieser Spieler-Typ sich schließlich selbst in seinem Lügen-Labyrinth verfängt und all sein Gold los ist - nun, das ist der vorhersehbare Gang vieler Possen. Doch Ben Jonsons "Volpone" (1607), von Stefan Zweig 1926 in eine Neufassung gebracht, nimmt eine Ausnahmestellung ein. Die Komödie punktet mit köstlichen Sentenzen und verdrehten Typen. Auch am Premierenabend begeisterte einmal mehr die Vitalität des Stückes mit ätzender Komik. Wenn man es denn so spielt, wie es die Regieanweisung vorgibt: "als commedia dell'arte, leicht, rasch, eher karikaturistisch." Gastregisseur Thomas Schulte Michels, der dem Staatstheater bereits eine exzellente ("Revisor") und eine enttäuschende Komödie ("Die Vögel") lieferte, hält sich dran. Und liefert mit "Volpone" sein Meisterstück. Straff führt er das Ensemble um die Klippe gängiger Clownerien herum zu einer seltenen komödiantischen Verve und Präzision. Knochentrocken gelingt der Grundton. Erlaubt ist keine Geste zuviel, und trotzdem verblüfft der Abend mit Saft und Kraft und darstellerischer Üppigkeit.

Ein Phänomen, das sich in dem ebenfalls von Schulte-Michels entwickelten Bühnenbild wiederholt, das mit wenigen, aber markanten Zeichen auskommt: Pflegebett, Totenbett-Kandelaber, Krankenhaus-Nachtschränkchen. Fahlgelb wie Eiter sind die eng gestellten Wände, übersät mit wilden schwarzen Pinselhieben. Zehn Türen erlauben die für das Lachtheater typische Raus-und-Rein-Hatz. Giftgrünes Licht setzt Alptraum-Akzente. Nur die Kostüme übernehmen die historische Verortung im Venedig der Renaissance-Zeit. Tanja Liebermann hat sie fabelhaft der Gesamtkomposition eingepasst. Die Frauen (Sophie Köster, Christiane Motter) tragen Krinolinen, Witwen-Spitzen oder billige Nutten-Dessous. Die Männer tauchen als schwarze Aasgeier mit schnabelartigen Nasen, Stehkragen und Gamaschen auf. Klaus Meiningers Lederdress (Corbaccio) zitiert zudem die Sadomaso-Szene. An Krücken schleppt sich dieser Widerling über die Szene. Während Klaus Müller-Becks grandioser Corvino als sanftes, unscheinbares Charakterschwein daherkommt - und umso monströser wirkt. Das Ensemble agiert auf homogener Höhe. Sogar Robert Prinzler (Leone) gelingt es, der Nebenfigur des Heißsporn-Capitanos mehr mitzugeben als blinde Wut - nämlich die Empörung des Ehrlichen.

Alles läuft rund, wie im Flug vergeht dieser stimmige Abend. Der erlaubt uns keine Einfühlung, nur (Selbst-)Erkenntnis. Lachen hilft gegen das Erschrecken.

Termine: 21., 29. Januar, 10., 13., 24., 27. Februar. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

Alles, aber auch alles kann man heute haben, wenn man sich's leisten kann. Selbst in faltenfreier Botox-Jugend die Zeit verdrängen - kann man. Bloß das mit dem Kinderkriegen geht nicht mehr so leicht. Ausbildung, Job, Karriere, Selbstverwirklichungssehnsüchte - es gibt ja tausend Gründe, warum erstmal nicht, später vielleicht. Und will man dann, hapert's. 10 000 Kinder werden allein in Deutschland jährlich außerhalb des Mutterleibs gezeugt. Zum Glück für einige Eltern; darüber spricht man dann gerne. Weitaus mehr aber versuchen es vergebens und leiden. Darüber schweigt man. Auch, wie jene Kinder mit ungewisser Teil-Herkunft, deren Vater ein anonymer Samenspender war, damit leben, ist eher Verschweige- denn Gesprächsthema.

Also, das klingt doch nach richtig gutem Theaterstoff. Und passend für eine Felicia Zeller, die von einigen als erfrischendste Stückeschreiberin deutscher Sprache bejubelt wird - ob ihres sprachartistisch-flinken Satiretons für diese hektische Zeit. Anderen bleibt die 43-Jährige als Plappermäulchen suspekt, weil ihre Bühnentexte nur so kalauernd dahinsausen. Dutzende Einfälle sprudeln bei ihr gleichzeitig, kaum etwas aber wird zu Ende gedacht oder gar bewertet.

Die Waage nun neigt sich bei Zellers neuem Stück, dass sie eigens fürs Staatstheater verfasst hat, eher zu letzterem. Ihr Anderthalbstünder "Wunsch und Wunder" zoomt mitten rein ins pralle Zeugungsleben der Kinderwunschpraxis Flause & Bauer. Dr. med. Bernd Flause macht seit 30 Jahren Kinder, wo andere Männer versagen: Andreas Anke pflanzt sich als protzender Potenzbrocken auf die Feuerwache-Bretter. Grandios! Beide Arme erigiert, als müsse er gleich in den Gyn-OP. Im Schöpferwahn hat er seinen Samen en gros an Patientinnen verteilt. Was die nicht wussten. So hat der Halbgott im offenen Hemd sich biblisch oft reproduziert - in über 300 Kindern. Als einer dieser Töchter dann, Katja von Teich (Nina Schopka spielt das in manchen Szenen als bemerkenswertes Double Flauses) auftaucht, wird's ungemütlich in der Praxis. Dabei hat man es sich mit Waldfototapete doch so wunderbar hübsch gemacht. Trotzdem sind alle hier chronisch überdreht. Roman Konieczny gibt so eher den Besamungstechniker als den Biologen. Früher, haha, war er in der Schweinezucht . Ärztin Betty Bauer (Gertrud Kohl) und Sprechstundenhilfe Nicole Neider (Gabriele Krestan) piepsen sich am Rande der Hysterie durch Zellers Schnellfeuersatire. Eine furiose Leistung der beiden.

Doch, wo Zellers Text schon auf 180 ist, gibt Marcus Lobbes, der Wunsch-Regisseur der Dramatikerin, nochmal Gas. Mit Ausstatter Wolf Gutjahr hat er ein Bühnen-Karussell in die Alte Feuerwache gehängt. Samt Klapptüren wie im Boulevardtheater. Tür auf, Tür zu: Schon eilt der nächste Gag. Manchmal bleiben die Schauspieler einfach stehen - und das Kulissenkarussell dreht sich über sie hinweg. Ein toller Tempoeffekt. Dazu wird alles noch per Kamera und Projektion gespiegelt, potenziert. Ein Irrsinntrubel, der allerdings auch vorführt, dass Zellers Figuren zwar Oberflächenreiz aber kaum Tiefe haben: Karikaturen, keine Charaktere. Es bleibt ein Theater der Flüchtigkeit, denn für die Frage etwa nach der medizinischen Moral ist in diesem Amüsierbetrieb keine Zeit.

Weitere Aufführungen: 25. Januar; 3., 7., 12., 13. und 27. Februar. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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