Vergesst die Mädchen von Kabul

Meinung · Was kann der Westen in Afghanistan erreichen? Demokratie? 2005 gab es freie Wahlen, doch die Macht der Regierung Karsai reicht kaum über Kabul hinaus. Freiheit und Gleichberechtigung? Gern erfreuen sich deutsche Regierungsvertreter daran, dass Millionen afghanischer Mädchen nun wieder zur Schule gehen könnten. Aber sie können es nur dort, wo westliche Truppen sind

Was kann der Westen in Afghanistan erreichen? Demokratie? 2005 gab es freie Wahlen, doch die Macht der Regierung Karsai reicht kaum über Kabul hinaus. Freiheit und Gleichberechtigung? Gern erfreuen sich deutsche Regierungsvertreter daran, dass Millionen afghanischer Mädchen nun wieder zur Schule gehen könnten. Aber sie können es nur dort, wo westliche Truppen sind. Rechtstaatlichkeit? Der Drogenanbau hat Rekord-Dimensionen angenommen. Justiz und Polizei sind schwach und oft korrupt, große Teile der Regierung auch.Heute wird der Bundestag den Bundeswehreinsatz in Afghanistan um 14 Monate verlängern und das Kontingent erneut erhöhen. Die Begründung für die Mission ist inzwischen auf die schmalste denkbare Basis geschrumpft. Sie lautet: Wir können zwar den Krieg nicht gewinnen, dürfen ihn aber nicht verlieren. Denn mit den Taliban kämen die Terroristen zurück. Unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Das ist richtig. Aber mit dieser Argumentation könnte die Bundeswehr noch ewig in Afghanistan bleiben. Mit ihr werden noch viele Soldaten in Särgen zurückkehren. Der Glaube, man könne aus einer Stammesgesellschaft mit tiefen feudalen Strukturen, starken islamischen und islamistischen Strömungen und einem durch endlose Kriege und Bürgerkriege zerstörten Gleichgewicht in kurzer Zeit einen modernen Staat machen, ist an der Realität Afghanistans weitgehend zerschellt. Wenn die westliche Gemeinschaft das ernsthaft gewollt hätte, sie hätte viel mehr als 50000 Soldaten in das Riesenland schicken müssen. Und sie hätte ihre Aktionen, diplomatisch wie militärisch, ausweiten müssen auf Pakistan und Iran.Heute zeigt sich: Der Blutzoll ist zu hoch, der Ausgang zu ungewiss, als dass man die Vision eines demokratischen, modernen islamischen Landes noch realistisch aufrechterhalten könnte. Mit Billigung des Westens hat die Regierung Karsai erste Kontakte zu den Taliban aufgenommen. Es bahnt sich langsam eine neue Zieldefinition an, mit der man sich irgendwann wieder aus dem Land zurückziehen kann: Afghanistan soll nun nur noch ein Staat werden, von dem keine unmittelbare Gefahr mehr für den Westen ausgeht. Das setzt ein Macht-System voraus, das wieder so afghanisch ist wie ehedem. Mit den Paschtunen, den Clanchefs und den Taliban. Also auch mit der Scharia und der Unterdrückung der Frauen. Ein Land, in Schach gehalten von westlichem Geld und vielleicht westlichem Militär im Hintergrund. Und die Politiker werden irgendwann sagen müssen: Vergesst die Mädchen von Kabul. Hauptsache, unsere Soldaten kommen lebend nach Hause.

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