Interview Dr. Paul Burgard Vergangenheit und Zukunft des Saarlandes

Der Historiker Dr. Paul Burgard vom Saarländischen Landesarchiv geht in unserem Interview sowohl auf die wechselvolle Geschichte des Saarlandes als auch auf seine Zukunft ein.

 Historiker Dr. Paul Burgard vom Saarländischen Landesarchiv.

Historiker Dr. Paul Burgard vom Saarländischen Landesarchiv.

Foto: GMLR

Warum kann der 10. Januar 1920 als „Geburtsstunde“ des Saarlandes bezeichnet werden?

Dr. Paul Burgard: An diesem Tag trat der Friedensvertrag von Versailles in Kraft. Er sah vor, dass das Saargebiet, wie es genannt wurde, unter eine eigenständige Verwaltung gestellt wird. Das Eigentum an den Kohlegruben ging an Frankreich über, das damit auch das alleinige Ausbeutungsrecht erhielt.

Wie wurde das Gebiet
begrenzt?

Burgard: Zum Saargebiet gehörte das sogenannte Saarbecken, in dem die Kohlegruben lagen, sowie die umliegenden Dörfer und Städte, in denen die Bergbau-Arbeiter wohnten. Die Fläche war etwa ein Viertel kleiner als das heutige Saarland.

Wer regierte das Saargebiet?

Burgard: Das Saargebiet war dem Völkerbund unterstellt. Es gab eine fünfköpfige Regierungskommission. Sie bestand aus einem Franzosen, einem Bewohner des Saargebiets sowie drei Mitgliedern anderer Nationen.

Die kommunalen Gremien wurden hingegen demokratisch gewählt. Außerdem gab es ab 1922 einen – ebenso demokratisch gewählten – Landesrat, quasi das erste saarländische Parlament, das aber keine wirklichen parlamentarischen Rechte hatte.

Es sollte aber nur eine Art „Experiment auf Zeit“ sein …

Burgard: Ja, es wurde im Versailler Vertrag festgeschrieben, dass es nach 15 Jahren eine Volksabstimmung geben soll, bei der die Bevölkerung über die Beibehaltung des Status quo beziehungsweise den Anschluss an Frankreich oder Deutschland entscheiden sollte.

1935 entschieden sich über 90 Prozent der Saarländer für die Vereinigung mit Deutschland. Wie kam es dazu?

Burgard: Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der als „unnatürlich“ empfundenen Abtrennung von Deutschland stand für die Saarländer die nationale Frage absolut im Vordergrund. Die militärische Besatzung und die Völkerbundregierung wurden als Fremdherrschaft erlebt, so dass das eindeutige Votum für eine „Heimkehr ins Reich“ zu erwarten war – trotz, aber zum Teil auch wegen Hitler.

Hat das den Zusammenhalt der Saarländer gestärkt?

Burgard: Der Widerstand hat zusammengeschweißt. Es gab Kundgebungen, Schriften und Eingaben an den Völkerbund. Es war eine schwierige Zeit, aber sie führte auch dazu, dass die Saarländer begannen, eine eigene Identität aufzubauen.

Gab es denn auch so etwas wie die „Goldenen 20er“ im Saarland?

Burgard: Nach dem Krieg herrschten Hunger und Wohnungsnot, die durch die Besatzungstruppen, die faktisch bis 1930 blieben, verschärft wurde. Doch andererseits gab es hier Arbeit. Bis zu 70.000 Menschen waren im Bergbau beschäftigt. Das Saarland war damals sehr katholisch geprägt und die Schicht des gehobenen Bürgertums war sehr klein – die Goldenen 20er fanden hier nur in bescheidenem Rahmen statt.

Haben die Franzosen ihre Kultur ins Saarland gebracht?

Burgard: Sie haben es versucht, zum Beispiel mit französischen Gruben-Schulen, die prinzipiell allen saarländischen Kindern offen standen. Die waren aber sehr umstritten. Auffallend ist, dass in den Theatern vor allem deutsche Klassiker auf dem Spielplan standen, Wilhelm Tell wurde besonders gerne gespielt. In den 20er Jahren entstanden hierzulande auch Museen und Kunstschulen, die die klassische Moderne ins Saarland brachten.

Das Saarland war nicht nur damals im Brennpunkt der europäischen Geschichte …

Burgard: Ja, das stimmt. Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg stand das Saarland unter internationaler Beobachtung. Erst als Mandatsgebiet des Völkerbundes ab 1920, was ein vollkommen neues politisches System darstellte. Bei der Volksbefragung 1955 wurde zum zweiten Mal über ein Saarstatut abgestimmt, das diesmal eine Europäisierung des Saarlandes vorsah. Doch 67,7 Prozent der Saarländer stimmten dagegen. Dass die Saarländer zweimal die Gelegenheit erhielten, über ihr staatliches Schicksal abzustimmen, ist im bundesdeutschen Vergleich einmalig.

Wie wird das Saarland in 100 Jahren aussehen? Werden wir auch den 200. Geburtstag feiern?

Burgard: Schuldenfrage und wirtschaftliche Leistungskraft werden auch in den nächsten Jahren die großen Themen sein. Ob eine Länderneugliederung allerdings die Lösung bringt, bleibt fraglich, da streiten sich die Experten. Außerdem sorgt der Föderalismus für Vielfalt – und die sollte ebenso erhalten bleiben wie nach der Meinung der allermeisten Saarländer: das Saarland.

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Foto: SZ/User, gmlr08
 Der Markt in Dudweiler um 1930.

Der Markt in Dudweiler um 1930.

Foto: GMLR

Das Interview führte
Katharina Rolshausen

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