Verdun mahnt Paris und Berlin

Das Bild von Helmut Kohl und François Mitterrand vor den Gräbern von Verdun hat sich eingebrannt. Der Handschlag der beiden Männer im Jahr 1984 ist zum Symbol der deutsch-französischen Freundschaft geworden.

Auch gestern, genau 100 Jahre nach dem Beginn der Schlacht, bei der im Ersten Weltkrieg Zehntausende Franzosen und Deutsche starben, musste man sich daran erinnern. Kohl und Mitterrand waren nicht immer einer Meinung, doch sie hatten verstanden, dass beide Länder nur zusammen in Europa etwas bewirken können. Eine Erkenntnis, die heute in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Das deutsch-französische Paar ist zerbrochen und hat Leere im Herzen Europas hinterlassen. "Jeder für sich" lautete die Devise des EU-Gipfels vergangene Woche. In der Flüchtlingsfrage verweigert Frankreich Deutschland die so dringend benötigte Solidarität. Die "Koalition der Willigen", die Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel Rückendeckung geben sollte, kam erst gar nicht zustande. Der französische Regierungschef Manuel Valls kam vor einer Woche nach München, um Merkels Flüchtlingspolitik offen anzuzweifeln. Ein Affront, der umgekehrt kaum denkbar wäre. Denn die Bundesregierung verzichtet auf öffentliche Kritik an Frankreichs ausuferndem Haushaltsdefizit oder fehlenden Reformen, um den Partner nicht zu schwächen.

Doch in Frankreich herrscht Vorwahlkampf, und markige Worte gegen Flüchtlinge bringen Wählerstimmen. Das hat zuletzt eindrucksvoll der rechtspopulistische Front National gezeigt, der bei den Regionalwahlen mit ausländerfeindlicher Hetze fast sieben Millionen Stimmen bekam. Sicherheit geht vor Solidarität und Flüchtlinge werden als Sicherheitsrisiko gesehen - auch wenn die meisten Attentäter des 13. November in Frankreich und Belgien geboren wurden. Nach den Anschlägen hatte Deutschland schnell seine Unterstützung bekundet und Soldaten in den Syrien-Einsatz geschickt. Zu einer Geste an Merkel war Präsident François Hollande umgekehrt aber nicht bereit.

Sicher, mit Jean-Marc Ayrault hat der Staatschef einen Verfechter der deutsch-französischen Freundschaft ins Außenministerium berufen. Doch die Ernennung kann den Dissens nicht überdecken. In den grundlegenden Fragen wie der Flüchtlingskrise oder der Austeritätspolitik liegen die Positionen von Deutschland und Frankreich weit auseinander. Dabei sind beide Länder zur Zusammenarbeit verdammt. Denn egal, ob die EU sich auf ein Kerneuropa zurückzieht oder weiterwurstelt wie bisher: Deutschland und Frankreich sind die zentralen Akteure. Und sie sollten endlich den Mut haben, die Führungsrolle zu übernehmen - und zwar gemeinsam. Auch in Erinnerung der Schrecken von Verdun.

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