Unterwegs in einer Zeitkapsel

Welche Gefühle bewegten Sie beim ersten Betreten der Höhle?Herzog: Ich kam nicht unvorbereitet. Ich kannte einen Bildband, kannte Fotos. Aber ich war dann doch wie vor den Kopf geschlagen. Alles sieht aus wie gerade erst verlassen. Man sieht an den Wänden Spuren von Fackeln, die dort abgestreift wurden, um sie wieder neu zu entfachen

Welche Gefühle bewegten Sie beim ersten Betreten der Höhle?Herzog: Ich kam nicht unvorbereitet. Ich kannte einen Bildband, kannte Fotos. Aber ich war dann doch wie vor den Kopf geschlagen. Alles sieht aus wie gerade erst verlassen. Man sieht an den Wänden Spuren von Fackeln, die dort abgestreift wurden, um sie wieder neu zu entfachen. Und weiß genau, das geschah vor 28 600 Jahren. Man trifft auf Spuren von Höhlenbären, die vor mehr als 20 000 Jahren ausgestorben sind. Auf so etwas kann man niemanden richtig vorbereiten. Es ist völlig einzigartig, wie sich die Dinge wie in einer Zeitkapsel erhalten haben.

Wirkt dieses Erlebnis einschüchternd?

Herzog: Nein. Es war nur ein ganz großes Staunen. Ich wusste sofort, dass es dieses Staunen war, das ich auf den Zuschauer übertragen muss. Wenn das Publikum in den USA aus dem Kino kam, redete keiner davon, dass er einen Film gesehen hat. Man sprach von einer Höhle, als wäre man in einer gewesen.

Hatten Sie in der Höhle Bewegungsfreiheit?

Herzog: Es gab natürlich technische Begrenzungen, ein winzigstes Team, sehr wenig Zeit. Oft durfte man sich nicht dorthin bewegen, wo man gern die Kamera hingestellt hätte. Das war aber keine Caprice. Man trampelt nicht auf "frischen" Bärenspuren herum, man muss auf einem Metallsteg bleiben. Wenn man Chirurg ist, vollzieht man seine Arbeit mit völligem Fokus auf die Lebertransplantation und alles andere verschwindet. Es ist wie ein Tunnelblick. Auch bei Dreharbeiten gibt es keine Gefühlswelten, da gibt es nur Vollzug. Wir konnten der Kamera nie ganz ausweichen. Relativ früh im Film sieht man mich im Profil und ich schwitze. Nicht, weil ich so hart gearbeitet habe. Ich hatte sehr starkes Fieber. Aber wir hatten nur sechs Tage Zeit, vier Stunden pro Tag. Die Beschäftigung mit dem Großartigen kommt erst nachher, wenn man im Schnitt mit Geduld vor dem Material sitzt.

Warum war es Ihnen wichtig, den Film in 3D zu drehen?

Herzog: Ich bin kein großer Freund von 3D. Aber in diesem Fall war es sofort klar, nachdem ich die Höhle gesehen hatte. Die Formationen der Höhle sind sehr dramatisch, die Maler haben das mit eingesetzt.

Warum mögen Sie 3D nicht?

Herzog: Unser Gehirn geht sparsam und selektiv vor. Wenn ich Sie anschaue, nehme ich Sie mit einem dominanten Auge wahr, aber im Zweidimensionalen. Das andere Auge nimmt peripher den Raum wahr. Wenn wir im Kino sitzen, können wir nicht mehr so selektiv sein. Alles ist immer permanent 3D, man kann den Fokus nicht herunterfahren. So ähnlich ist es beim Tonbandgerät. Wenn wir in einem lärmenden Café sitzen, hören wir genau, was wir sprechen, weil wir es selektiv hören wollen. Hören wir das Tonband ab, hört man nur Störgeräusche. Warum das so ist, weiß man bis heute nicht genau. Im Kino leben wir oft so etwas wie unsere eigene, parallele Geschichte. Bei 3D hat man nur den Feuerwerkseffekt.

Waren diese Höhlenmaler für Sie Seelenverwandte?

Herzog: Hier manifestiert sich der moderne Mensch, das, was wir heute auch sind. Kulturwesen, die Geschichten erzählen und Bilder malen, die Statuetten schnitzen und Musikinstrumente herstellen, die religiöse Begriffssysteme erzeugen. Im Grunde ist es das erste Zeugnis, das den modernen Menschen sichtbar macht.

Finden Sie Themen für Dokus oder finden die Themen Sie?

Herzog: Die Themen stolpern in mich hinein. Die Projekte kommen fast wie ungebetene Gäste, die sich bei mir drängeln. Und ich komme nie richtig hinterher. Seit dem Höhlenfilm habe ich schon wieder an sechs Filmen gearbeitet. Vier Filme sind allerdings kürzere Sachen fürs Fernsehen.

Für eine Doku haben Sie einige Zeit im Todestrakt verbracht und mit Verurteilten geredet. Wirkt so ein Projekt lange nach?

Herzog: Um es genau zu sagen, hatte ich 50 Minuten und musste sofort den richtigen Ton treffen. Ich hatte nicht die Gelegenheit, den Gefangenen, der auf die Exekution wartet, vorher kennenzulernen. Nach 48 Minuten spüre ich eine ganz behutsame, sanfte Hand von einem Mann aus der Wachmannschaft auf meiner Schulter und ich weiß genau, nun habe ich noch genau 120 Sekunden.

Was haben Sie menschlich von dieser Arbeit mitgenommen?

Herzog: Wir wissen nicht, wie und wann wir sterben werden. Menschen, die hingerichtet werden, wissen auf die Minute genau, wann es passiert. Für die schauen Leben und menschliche Existenz ganz anders aus. Wie bei der Höhle auch gibt es während der Arbeit kein Nachdenken und keine tiefen Emotionen. Erst hinterher, beim Schneiden, wird es ganz arg. Sowohl der Cutter als auch ich haben wieder zu Rauchen angefangen. Wir mussten einfach raus ins Freie, uns an einer Zigarette festklammern. Es war uns nur möglich, fünf Stunden am Tag zu arbeiten.

Der interviewte Archäologe berichtet von intensiven Träumen, nachdem er die Höhle erforscht hat. Kennen Sie Ähnliches?

Herzog: Ich träume nachts nicht, ich bilde da eine Ausnahme, ich bin traumunfähig.

Oder Sie erinnern sich nur nicht.

Herzog: Das behaupten alle Psychiater. Ich glaube, das sind Hausdeppen, wenn sie behaupten, dass jeder so und so viel träumt. Ich würde mich gern als lebender Gegenbeweis darbieten. Man rüttelt mich nachts um halb vier wach, weil wir ganz früh zu einem Dreh raus müssen. Dann merke ich, ich habe wieder nicht geträumt. Und ich empfinde das durchaus als Vakuum. Ich hätte gern geträumt, ich tue es aber nicht.

Machen Sie deshalb Filme?

Herzog: Vielleicht, wenn man das ganz vorsichtig nimmt, bin ich in diesem Beruf und mache Filme, weil ich nicht träume. Als wäre es meine Möglichkeit, das trotzdem zu tun.

Ab morgen - allerdings nicht in der 3D-Fassung - im Saarbrücker Filmhaus. Kritik morgen im treffregion.

AUF EINEN BLICK

Vier weitere Filme laufen diese Woche an. David Fincher liefert mit der Hollywood-Variante von Stieg Larssons "Verblendung" solides Spannungskino mit Daniel Craig und Rooney Mara. Eine mitreißende Hommage an einen großen kleinen Mann ist Michael Radford mit der Doku "Michel Petrucciani - Leben gegen die Zeit" gelungen (im Filmhaus). Enttäuschend: das oberflächliche US-Drama "Soul Surfer" von Sean McNamara und das deutsche Roadmovie "Offroad" von Elmar Fischer mit Nora Tschirner. red

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