Ungemach per Paragraphen

Leipzig/Saarbrücken · Die unabhängigen Verlage in Deutschland fühlen sich augenblicklich gleich von zwei Seiten bedroht: Zum einen fürchten sie erhebliche finanzielle Einbußen durch eine gerade ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Zum anderen droht ihnen durch einen Referenten-Entwurf aus dem Bundesjustizministerium weiteres Ungemach. Schon wird ein Verlagssterben an die Wand gemalt. Ein Sturm im Wasserglas?

Von einem "annus horribilis", einem Horrorjahr, sprach unlängst der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang. Zuvor hatte im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse die Kurt-Wolff-Stiftung, unter deren Dach 110 unabhängige Verlage organisiert sind, eine "Bedrohung unserer literarischen Vielfalt" an die Wand gemalt. Hintergrund des Branchenaufschreis sind zwei juristische Vorstöße, die nur mittelbar zusammenhängen.

Da ist zum einen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die bislang von den Verwertungsgesellschaften VG Wort und VG Bild-Kunst hälftig an Autoren und Verlage ausgeschütteten Bibliothekstantiemen und Kopierabgaben künftig nur noch Autoren zuzuschreiben. Für Kleinverlage, die bis dato fest mit den Kopiertantiemen rechnen, bedeute dies beträchtliche Einnahmenausfälle, sagt Karsten Dehler, Geschäftsführer der Leipziger Kurt-Wolff-Stiftung. "Damit bricht denen gewissermaßen der Jahresgewinn weg", so Dehler. Der Verleger des St. Ingberter Conte Verlages, Stefan Wirtz, beziffert seine Einbußen infolge der EuGH-Entscheidung auf fünf Prozent. "Das bringt uns nicht ins Grab, ist aber erheblich, weil vieles auf Kante genäht ist." Wie Dehler sieht Wirtz darin indirekt eine Nichtwürdigung der komplexen, nicht selten an Selbstausbeutung grenzenden Arbeit kleiner Verlage. Ausgangspunkt des EuGH-Verfahrens war eine Klage von Hewlett Packard gegen die belgische Verwertungsgesellschaft Reprobel mit dem Ziel, die urheberrechtlich motivierte Kopierabgabe für ihre Geräte zu mindern. Der Gerätehersteller mochte nicht einsehen, dass neben Autoren auch Verlage davon profitieren. Was das mit hiesigen Verlagen zu tun hat? Das deutsche Pendant zum Reprobel-Verfahren heißt Vogel-Verfahren: Der Autor Martin Vogel klagte in zwei Instanzen erfolgreich gegen die VG Wort mit dem Ziel, Kopierabgaben künftig alleine Autoren vorzubehalten. Weshalb der Bundesgerichtshof , wo Vogels Klage inzwischen anhängig ist, den Straßburger Richterspruch sehr genau analysieren wird.

Doch nicht nur der Kopierabgabenstreit treibt die unabhängigen Verlage um. Noch größeres Ungemach drohe, so Conte-Verleger Wirtz, von einem Referenten-Entwurf aus dem Bundesjustizministerium, der die Rechte von Autoren und Übersetzern stärken will, aus Sicht der unabhängigen Verlage zum Teil jedoch auf deren Rücken. Geplant ist, dass Rechteurheber künftig nach fünf Jahren ihr Nutzungsrecht aufkündigen können, sofern ihnen ein anderer Verlag ein besseres Angebot macht. Die Sorge der Verlage: Sobald ein Autor die Schallmauer von 10 000 Verkaufsexemplaren durchbreche, würden große Publikumsverlage ihn mühelos abwerben können - und die Kleinverlage so womöglich um die Früchte jahrelanger Aufbauarbeit bringen.

Zwar bindet sich heute kein Autor lebenslang an einen Verlag (sondern allenfalls sieben bis zehn Jahre), das juristische Fallbeil aber künftig nach fünf Jahren automatisch herabzulassen, würde den Manchester-Kapitalismus der Branche verschärfen. Das aber hat man inzwischen auch im Haus von Justizminister Heiko Maas erkannt. Es gebe aus Berlin Signale, den Entwurf zu modifizieren, heißt es bei der Kurt-Wolff-Stiftung. Nicht unterschlagen werden sollte bei allem berechtigten Murren, dass die eigentlichen Urheber (Schriftsteller, Journalisten, Übersetzer) auf beiden Paragraphenwegen die verdiente Stärkung erführen.

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