Und ewig grüßt der Beckett

Saarbrücken · Dagmar Schlingmann ringt Becketts „Warten auf Godot“ noch bemerkenswert viel Aktualität ab. Doch am Ende bleibt es bei dem Versuch, einem Museumsstück der Bühne wieder Leben einzuhauchen.

 Drei Mann in Not: Christian Higer (Wladimir), Klaus Meininger (Pozzo) und Andreas Anke (Estragon, v. links). Foto: Thomas M. Jauk

Drei Mann in Not: Christian Higer (Wladimir), Klaus Meininger (Pozzo) und Andreas Anke (Estragon, v. links). Foto: Thomas M. Jauk

Foto: Thomas M. Jauk

Manchmal überfällt die Wirklichkeit das Theater: Als Freitagabend in der Feuerwache "Warten auf Godot" läuft, müht sich Bundeskanzlerin Merkel gerade via Fernsehen, ihre wohlwollende Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen - auch jenen gegenüber, die sich Parteifreunde nennen. Als man in Saarbrücken nach der Premiere feiert, ziehen islamistische Terroristen mordend durch Paris. Und tags drauf wird schon wieder diskutiert, wie viel Zuwanderung Länder wie Frankreich oder Deutschland vertragen können. Und ob man mit Menschen anderen Denkens nicht auch das Böse ins Land lässt.

Was das mit einem Theaterabend in Saarbrücken zu tun hat? Überraschend viel. Natürlich ist Dagmar Schlingmann keine Kassandra. Wohl aber hat sie den Instinkt einer erfahrenen Theaterfrau. Denn als sie vor gut einem Jahr nach Samuel Becketts "Warten auf Godot" griff, waren wir Deutschen keineswegs bereits die gepriesene Nation der Willkommenskultur. Zur Erinnerung: In Italien etwa strandeten Tausende auf der Flucht vor Gewalt und Krieg. Bloß um dann in Lagern warten zu müssen - ohne Perspektive. Das nahm man hin. Man ignorierte, statt zu handeln.

Eben darauf wollte die Staatstheater-Intendantin mit ihrer "Godot"-Regie wohl antworten. Erfahrbar machen, wie es Menschen ergeht, die ihre Heimat aufgeben müssen, doch keine Zukunft finden, weil sie zum Warten verdammt sind. Becketts Blaupause des Absurden Theaters so zu begreifen, wäre lange niemand in den Sinn gekommen. 2004 aber überraschte der französische Theaterhistoriker Pierre Temkine mit dem Hinweis, man dürfe "Godot" durchaus historisch sehen. Im Urtext gebe es Fingerzeige: Beckett habe, als er seinen "Godot" 1948 begann, an das Schicksal der Juden im nichtbesetzten Frankreich 1942/43 erinnern wollte. An verzweifelte Menschen, die auf einen Fluchthelfer warten, um den Nazis zu entkommen. Der Helfer aber, nennen wir ihn Godot, kommt nicht.

Dies nun macht Schlingmann zum Ankerpunkt ihrer Arbeit. Ein drehbarer Holzkubus mit Treppen und Leuchtbändern steht mitten in der Feuerwache. Obendrauf: Klamotten, Taschen, Rettungswesten . Im Hintergrund leuchtet das Meer. Als Bild, Illusion auch dies. Dennoch kann man sich mit etwas Fantasieanstrengung die Hafenmauern einer Küstenstadt vorstellen, dort, wo die Flüchtlingsnot an Europas Küsten brandet. Selbst wenn Sabine Maders Bühne letztlich doch eher wie das Resultat eines Heimwerkernachmittags aussieht. So manches Schultheater ist da einfallsreicher.

Immerhin, der Eindruck genügt, um Wladimir und Estragons Worte anders zu hören als gewohnt. Diese irr-laufenden Dialoge, in denen in einer Sekunde die Gedanken hoch fliegen, man über das Sein und das Nichts sinniert. Bis wieder die Schuhe drücken oder der Magen knurrt. Ja, das könnten Menschen sein, denen nur das Warten bleibt, das zu nichts führt, außer zu Verzweiflung und auch Wut.

Mit Tempogespür hat Schlingmann an diesen Dialogen gearbeitet. Und die bestmögliche Besetzung ihres Ensembles für das berühmte Doppel Waldimir und Estragon gewählt. Bei Christian Higer tönt jeder Satz nach Rezitationsabend, jedes Wort formt er zur Kostbarkeit. Higer ist als Wladimir der Philosoph, der Kopf. Und Andreas Anke? Der Bauch: Estragon brüllt, schreit, rebelliert gegen die Ausweglosigkeit seines Daseins. Verraucht der Frust für kurze Zeit, giert er nach Zuneigung. Schweißnass verbeugt Anke sich am Ende. Schauspielerei betreibt er als Kampfsport: ein Bühnentier. Imponierend. Letztlich haben diese beiden nur einander, wie ein altes, längst abgeliebtes Ehepaar, das nicht mehr zusammen kann, aber eben auch nur sich selbst hat. Das leben Anke und Higer auf der Bühne so intensiv, dass der kalt lächelnde Auftritt Pozzos (Klaus Meininger) und seines Dieners Lucky (Cino Djavid) dagegen beinahe Episode bleibt.

Bemerkenswert, dass Dagmar Schlingmann diesem Museumsstück des Theaters so viel Aktualität abringen konnte. Doch trägt dieser Gedanke einen Akt lang, dann erschöpfen sich Drama wie Inszenierung in der Wiederholung: Und ewig grüßt der Beckett. Das, was an diesem Stück mal so verstörend war, lässt sich wohl noch analysieren, aber kaum mehr fühlen. Fürs theaterwissenschaftliche Proseminar ist das ein Muss, aber muss man es noch spielen? Die Antwort lautet in Saarbrücken dennoch "ja", weil mit Andreas Anke und Christian Higer zwei enorme Schauspieler am Werk sind.

Weitere Vorstellungen: 19. Nov., 11., 12., 16., 18. und 29. Dez., Karten unter

Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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