"Umgang mit den uralten Felsensöhnen der Natur"

Saarbrücken. Eigentlich war alles ganz anders geplant: Im historischen Lampensaal der Grube Reden wollte das Saarbrücker Literaturarchiv das kommende Ende des Bergbaus an der Saar in einer großen Ausstellung spiegeln

 Inmitten allen Papiers bleibt dies der einzige Ausstellungsgegenstand: die Uhr von Alfred Guldens Patenonkel, der Bergmann war und Gulden zu dem Gedicht "Untertag" inspirierte. Foto: Marc Nauhauser

Inmitten allen Papiers bleibt dies der einzige Ausstellungsgegenstand: die Uhr von Alfred Guldens Patenonkel, der Bergmann war und Gulden zu dem Gedicht "Untertag" inspirierte. Foto: Marc Nauhauser

Saarbrücken. Eigentlich war alles ganz anders geplant: Im historischen Lampensaal der Grube Reden wollte das Saarbrücker Literaturarchiv das kommende Ende des Bergbaus an der Saar in einer großen Ausstellung spiegeln. Archivleiter Sikander Singh plante dafür im Sinne einer doppelten künstlerischen Reflexion die Saarbrücker Kunsthochschule zu gewinnen: HBK-Studenten sollten, ausgehend von einschlägigen literarischen Texten der Kohleregionen Saar und Ruhr, ihre aktuelle Sicht auf die jahrhundertelang landschafts- und bewusstseinsprägende Bergbauhistorie versinnbildlichen. Die HBK aber winkte (weil Singh recht spät anfragte?) ab - sodass nun wieder das klassische "Flachware in Vitrinen"-Muster Vater des Ausstellungsgedankens ist, den gleich drei von Singh und Archiv-Vize Hermann Gätje konzipierte Kabinettschauen beherzigen.Nur eine davon - die im Literaturarchiv - überzeugt. Während im Keller der Stadtbibliothek vier Schaukästen unter dem betont niedrigschwelligen Titel "Von Bergen und Zwergen" Märchen, Sagen und Lieder zum Bergbau gruppieren, ohne dass man dies ernstlich Ausstellung nennen sollte, illustrieren historische Buchausgaben im Schauraum der Universitäts- und Landesbibliothek ideengeschichtliche Facetten des Bergbaus zur Zeit der Aufklärung. Wobei man sich fragen muss, ob das Aufschlagen historischer Lexika oder geologischer Schriften des 18. Jhr. noch als zeitgemäße Einführung ins Thema gelten darf. Unter uns: nein. Zumal dann, wenn die (mitunter schwer entzifferbaren) Textzeugnisse - anders als die hilfreichen, kurzen Ausstellungserläuterungen - nur in Teilen erhellend sind.

Umso nachdrücklicher zu empfehlen ist dafür die literarhistorische Aufarbeitung des Bergbau-Sujets im Literaturarchiv (Campus Dudweiler), für die es sich durchaus lohnt, eine gute Stunde Zeit einzuplanen, um all die Typos- und Manuskripte und deren Kommentierungen zu studieren. Beginnend mit der Romantik, in der der Bergbau erstmals zu einem wichtigen literarischen Motivkomplex wird (man denke nur an Novalis' "Heinrich von Ofterdingen", worin er den "Umgang mit den uralten Felsensöhnen der Natur" sprachlich brillant fasst, oder an Tieck oder den hier nicht bedachten E.T.A. Hoffmann) wird der Bogen bis in die Gegenwartsliteratur (Arnfrid Astel, Nelia Dorscheid, Hans-Ulrich Treichel) geschlagen - wobei der Schwerpunkt auf Regionalliteratur liegt.

Ein Brief Gustav Reglers an Marie-Luise Vogeler von August 1933 etwa führt das soziale Elend in den damaligen saarländischen Bergbausiedlungen vor Augen; ein zweiter betont die regional prägende "Mischung von Natur und Industrie", die "bis in die Gesinnung der Arbeiter" gehe, die nach der Schicht zuhause sogleich die Feldwerkzeuge in die Hand nähmen. Sätze, in denen noch 80 Jahre danach eine untergangene Welt nachklingt. Genauso wie der Grubenalltag aus einem nur mit Mühe entzifferbaren Manuskript Manfred Römbells aufscheint: "Morgens im Zug rauchten die Bergleute wie die Schlote, denn unter Tage war für die ganze Schicht nichts mehr mit Rauchen." Eines der interessantesten Fundstücke ist ein aufgeschlagenes Theater-Programmheft von 1976, worin Gerhard Bungert und Klaus-Michael Mallmann dem Vorwurf begegnen, ihr am SST damals uraufgeführtes Volksstück "Warum Eckstein Trumpf ist" ergreife einseitig Partei für die Bergleute. Dies stimme, schreiben sie und fragen provokant "Was wäre die Alternative?"

Eine weitere Trouvaille ist ein 1996 erschienener Text Ludwig Harigs über den alten Kohletäler an der Saar, der eine schonungslose Bestandsaufnahme hiesiger Traditionsvernichtung ist: vermauerte Schächte, geschleifte Maschinenhallen, abgerissene Fördertürme. Das Ausstellungsprinzip (ihr Titel "Durch einen Flözarm von Wörtern" geht auf eine Gedichtzeile Felicitas Frischmuths zurück), in 15 Vitrinen regionale Schnippsel mit auswärtigen Schlaglichtern (von Heine bis Max von der Grün) zu paaren, erweist sich bei alledem als produktive Form gedanklicher Korrespondenzen.

"Durch einen Flözarm von Wörtern - Literatur und Bergbau": Bis 16. August im Literaturarchiv (Mo-Do: 9-12 Uhr und 14-16 Uhr; Fr: 9-12 Uhr).

"Geologische Phantasien - Bergbau im Jahrhundert der Aufklärung": Bis 16. 8. in der Universitäts- und Landesbibliothek (Mo-Fr: 9-22 Uhr, Sa: 9-12.30 Uhr).

"Von Bergen und Zwergen - Märchen, Sagen, Lieder zum Bergbau": Bis 16. 8. in der Stadtbibliothek (Di-Fr: 11-18 Uhr; Sa: 10-13 Uhr).

Eröffnung der Ausstellungstrias heute um 17.30 Uhr in der Saarbrücker Stadtbibliothek.

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