Ernennung des Generalsekretärs Eine normale Beförderung oder ein Staatsstreich?

BRÜSSEL Ein neuer Generalsekretär für die EU-Kommission – das Interesse an einer solchen Personalie reicht normalerweise nicht über Brüssel hinaus. Doch die Berufung des Jean-Claude-Juncker-Vertrauten Martin Selmayr in der Vorwoche schlägt Wellen. Gerade die blitzartige Doppel-Beförderung innerhalb von Minuten wirft Fragen auf.

„Das Thema interessiert den Bürger außerhalb dieses Raums überhaupt nicht“. Alexander Winterstein, Sprecher der europäischen Kommission, bemühte sich auch gestern, den Schwall an Fragen zur Causa Selmayr abzuwehren. Vergeblich. Zu tief sitzt der Verdacht, dass es bei der Ernennung des bis heute noch Chef des Kabinetts von Präsident Juncker zum neuen Generalsekretär der EU-Behörde nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. In den Reihen der Grünen-Parlamentsfraktion war von einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ die Rede. Bei der SPD sprach Jens Geier von einer „Aktion der Dankbarkeit“ für einen Mitarbeiter, der jahrelang seinem Chef gedient habe und nun auf einen Posten gehievt wurde, auf dem „er Junckers Ende (der Kommissionspräsident tritt 2019 nicht mehr an, d. Red.) überdauern kann“.

In der Kommissionsitzung am 21. Februar war Selmayr, der auch als Honorarprofessor an der Saar-Uni lehrt, zunächst zum stellvertretenden Generalsekretär der Kommission ernannt worden. Berichten zufolge wurde den mit einer Ausnahme ahnungslosen Kommissaren unmittelbar danach die Kündigung des bisherigen Amtsinhabers, Alexander Italiener, ein Niederländer, vorgelegt, die dieser aber erst am selben Morgen geschrieben hatte. Daraufhin beschloss das Kollegium anschließend die zweite Beförderung zum Generalsekretär und Herrn über 33 000 EU-Beamte. Ein zügiges Verfahren: Denn die Sitzung begann um 9.30 Uhr. Neun Minuten später wurde die Pressekonferenz mit der Selmayr-Entscheidung angekündigt. Selbst Haushaltskommissar Günther Oettinger, der auch für Personalfragen zuständig ist, habe erst einen Tag vorher von der Personalie erfahren, diese aber mitgetragen.

Kommissionssprecher Winterstein betonte mehrfach, das Verfahren habe „seine Ordnung“ gehabt. „Es gab einen Nominierungsprozess – nicht nur nach den Buchstaben, sondern auch nach dem Geiste der Regeln.“ Das scheint richtig. Schließlich war die Stelle ausgeschrieben und Selmayr absolvierte seit Februar die üblichen Stufen eines Bewerbers – ein Tag im Assessment Center, Gespräche mit der Spitze der Kommission. „Das ist alles nicht ungewöhnlich“, versuchte der Sprecher gestern die Wogen zu glätten. Ein mit den juristischen Fragen befasster Experte der Kommission betonte, „aufgrund seines Dienstgrads als Direktor und seiner Erfahrung hätte Selmayr auch direkt und ohne Bewerbungsverfahren durch Kommissionsentscheidung versetzt werden können“.

Warum also diese Aufregung? Und warum wagte gestern keiner der sonst so auskunftsfreudigen Führungsfiguren, unserer Zeitung zum Streit etwas zu sagen? Offenbar spielen im Hintergrund nicht nur Ressentiments gegenüber Selmayr eine Rolle, sondern auch gegen die Tatsache, dass er als Deutscher ab morgen diese Schlüsselrolle innehat. Denn Selmayr ist nicht nur wegen seines herrischen Führungsstils wenig beliebt. Mit ihm sind nun drei von vier EU-Institutionen in deutscher Hand: Das EU-Parlament hat Klaus Welle als Generalsekretär, Helga Schmid sitzt an gleicher Stelle dem Auswärtigen Dienst vor. Und nun kommt noch die Kommission in deutsche Regie. Das scheint vor allem Frankreich ein Dorn im Auge. Die französische Zeitung „Libération“ war es, die die Doppelbeförderung als „Staatsstreich“ bezeichnete. Das Parlament will jetzt eine genaue Untersuchung.

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