Analyse Vom Treffen zweier Unberechenbarer in Rom

VATIKANSTADT (dpa) Dass die Christen die Türken einst als „dauerhafte Feinde“ sahen, steht im Vatikan noch heute in Marmor graviert. Auch die Gemälde in der herrschaftlichen Sala Regia können Recep Tayyip Erdogan nicht gefallen: Sie zeigen eine Schlacht, bei der vor mehr als 400 Jahren die Christen das Osmanische Reich besiegten. Bei seinem historischen Besuch bei Papst Franziskus wird der türkische Staats­präsident heute weder die lateinischen Inschriften, noch die Gemälde zu sehen bekommen – und auch die feindselige Stimmung von damals wird nicht zu spüren sein. Doch spannungsfrei wird das Treffen sicher nicht.

Es ist der erste offizielle Besuch eines türkischen Präsidenten oder Regierungschefs seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl 1960. Erdogan will mit Franziskus über den Krieg in Syrien, Flüchtlinge, den Kampf gegen den Terrorismus, Islamophobie und die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA sprechen – keine leichten Themen. Dazu kommt: „Die beiden haben gemeinsame Charakterzüge: Sie sind spontan und unberechenbar“, sagt Vatikan-Experte Ulrich Nersinger.

Seit ihrer letzten Begegnung in Erdogans Prunkpalast in Ankara 2014 ist viel passiert. Die Menschenrechtslage in dem Land hat sich weiter verschlechtert. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 dürften Franziskus‘ Sorgen um die Meinungsfreiheit in der Türkei nicht kleiner geworden sein. Menschenrechtler sitzen wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis. Journalisten sind ohne Anklage inhaftiert. Erdogan hat per Notstandsdekret zahlreiche kritische und pro-kurdische Medien und Vereine schließen lassen. Gar nicht gerne sehen dürfte der Pontifex auch die neueste Entwicklung im Syrien-Krieg. Erst vor zwei Wochen ist das türkische Militär mit verbündeten Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) gegen die kurdische Miliz YPG, die die Türkei als Terrororganisation einstuft, in Nordwestsyrien vorgerückt.

Das katholische Kirchenoberhaupt und später auch Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella und Regierungschef Paolo Gentiloni schütteln heute „Hände, die mit Blut befleckt sind“ – so sieht es zumindest das kurdische Netzwerk „Rete Kurdistan“, das Protest angekündigt hat. „Erdogan Not Welcome, Rom will dich nicht“, heißt es in dem Aufruf.

Angesichts der drängenden Themen könnte ein Dauer-Konfliktthema zwischen dem Vatikan und der Türkei in den Hintergrund treten: die Massaker an den Armeniern. Trotz der Warnung Erdogans, diesen „Unsinn“ zu wiederholen, bezeichnete Papst Franziskus bei einem Besuch in Eriwan 2016 das blutige Vorgehen des Osmanischen Reiches gegen die Armenier vor mehr als hundert Jahren als Völkermord. Daraufhin warf ihm der damalige Vize-Regierungschef und heutige Verteidigungsminister Nurettin Canikli eine „Kreuzfahrermentalität“ vor.

Es ist die Jerusalem-Krise, die Erdogan und den Papst derzeit eint – und die das Treffen wohl erst möglich machte. „Wir sind beide für die Verteidigung des Status quo (von Jerusalem) und haben den Willen, ihn zu schützen“, sagte Erdogan vor seiner Ankunft in Rom der Zeitung „La Stampa“. Kurz nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, hatten Erdogan und Franziskus zweimal telefoniert.

Erdogan hatte sich in dem Konflikt um die Muslimen, Juden und Christen heilige Stadt zum Wortführer der islamischen Welt aufgeschwungen. „Das ist nicht mehr nur die Aufgabe der Muslime, sondern regelrecht der Menschheit“, betonte er staatsmännisch. Dass er nun das Oberhaupt der katholischen Kirche besucht, findet in der Türkei noch wenig Beachtung. Für Erdogan dürfte es dennoch ein Erfolg sein, mit dem Papst als moralische Instanz an einem Strang zu ziehen.

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