NSU-Prozess Höchststrafe für Zschäpe? Die Entscheidung ist offen

München (dpa) Bisher hat zwar noch nicht einmal die Anklage ihr Plädoyer im NSU-Prozess beendet. Dennoch gibt es schon jetzt klare Erwartungen an ein Urteil für die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Die Regierungsbeauftragte für die NSU-Opfer, Barbara John, sagt beispielsweise, die Hinterbliebenen der Opfer erwarteten die Höchststrafe. Das Münchner Oberlandesgericht (OLG) müsse sogar die „besondere Schwere der Schuld“ feststellen. Schließlich hätten die Opfer allein deshalb sterben müssen, weil sie Ausländer waren.

München (dpa) Bisher hat zwar noch nicht einmal die Anklage ihr Plädoyer im NSU-Prozess beendet. Dennoch gibt es schon jetzt klare Erwartungen an ein Urteil für die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Die Regierungsbeauftragte für die NSU-Opfer, Barbara John, sagt beispielsweise, die Hinterbliebenen der Opfer erwarteten die Höchststrafe. Das Münchner Oberlandesgericht (OLG) müsse sogar die „besondere Schwere der Schuld“ feststellen. Schließlich hätten die Opfer allein deshalb sterben müssen, weil sie Ausländer waren.

Ob das Gericht so urteilen wird, ist völlig offen. Die Bundesanwaltschaft spricht zwar von voller Mittäterschaft Zschäpes an den zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und den Raubüberfällen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. „Mittäterin“ würde bedeuten, dass Zschäpe dieselbe Verantwortung an den Verbrechen trägt wie die unmittelbaren Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, obwohl sie an keinem der Tatorte dabei gewesen sein soll. Die Frage ist: Folgt das OLG dieser Argumentation – oder bestraft es Zschäpe „nur“ wegen Beihilfe?

Verurteilungen wegen Mittäterschaft hat der Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder aufgehoben – auch der 3. BGH-Strafsenat, bei dem eine mögliche Revision des NSU-Prozesses landen dürfte. Einige Beispiele:

Fall 1: Das Landgericht Koblenz verurteilt eine Frau wegen Mittäterschaft an sechs bewaffneten Raub­überfällen. Gemeinsam spähen sie und ihr Partner Tankstellen aus. Die Frau mietet für fünf der Überfälle ein Auto. In drei Fällen chauffiert sie es selber, in den anderen ist sie Beifahrerin. Am Ziel steigt ihr Partner aus und dann mit Geldbeute wieder ein. Beide leben gemeinsam von der Beute. Der BGH kassiert das Urteil im Dezember 2015 mit der Begründung: Die Beteiligung der Frau lasse „weder auf eine Tatherrschaft noch auf einen Willen hierzu schließen“ (Aktenzeichen: 3 StR 439/15).

Fall 2: Auch hier geht es um Überfälle auf Tankstellen und ein Täter-Pärchen. Auch hier mietet die Frau Autos. Gemeinsam fahren beide zu den Tatorten, wo die Frau jeweils im Auto wartet. Das Landgericht Verden verurteilt die Frau wegen Mittäterschaft. Zu Unrecht, meint im Juli 2016 der BGH (Aktenzeichen: 3 StR 129/16).

Fall 3: Ein Mann beteiligt sich daran, Einbrüche und Raubüberfälle zu planen. Er stellt seine Pistole als Tatwaffe zur Verfügung. Mehrere Einbrüche und Überfälle sind erfolgreich. Der Angeklagte ist bei den Taten nicht dabei. Mal bekommt er einen Teil der Beute ab, mal nicht. Das Landgericht Saarbrücken verurteilt ihn im Dezember 2015 wegen Beihilfe – also nicht als Mittäter. Die Anklage legt Revision ein und will ein härteres Urteil wegen Mittäterschaft. Der BGH, diesmal der 5. Strafsenat, lehnt das ab (Aktenzeichen: 5 StR 255/16).

Die Begründungen der BGH-Richter lesen sich in allen Fällen ähnlich, teils wortgleich. Der 5. Senat stellte beispielsweise fest: „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Mittäter, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint.“

Die Münchner Richter im NSU-Prozess dürften die Entscheidungen des BGH genau kennen, genauso wie Zschäpes drei Pflichtverteidiger Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm.

Natürlich wird auch die Bundesanwaltschaft die BGH-Rechtsprechung kennen. In ihrem Plädoyer leitet sie Zschäpes Mittäterschaft aus der gemeinsamen nazistischen Ideologie ab und nennt sie die „Tarnkappe des NSU“ – unverzichtbar für Legenden, Tarn-Identitäten, einen sicheren Rückzugsraum, die Verwaltung der Beute aus den Überfällen oder sogar bei der Beschaffung von Waffen.

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