Erfolg bei Kommunalwahl Auf England kann sich Theresa May verlassen

LONDON Die Wahllokale hatten noch nicht geschlossen, da herrschte in einigen Bezirken Londons bereits ein Anflug von Feierstimmung, in anderen dagegen eher Panik. Sollte die Labour-Partei tatsächlich bei den Kommunalwahlen einen Erdrutschsieg schaffen, wie Umfragen in den vergangenen Wochen vorhergesagt hatten? Und würden die Konservativen eine historische Schlappe erleiden?

Auch wenn es bei lokalen Wahlen in der Regel um Büchereien, Kindergärten und die Leerung von Mülltonnen ging, die Abstimmung in zahlreichen Städten und Gemeinden Englands (nicht in Wales, Nordirland und Schottland) am Donnerstag wurde als Gradmesser für die politische Stimmung im Land betrachtet. Seit Monaten hängen die zäh verlaufenden Brexit-Verhandlungen wie dunkle Wolken über Westminster, zudem erschüttern regelmäßig Skandale die Regierung. Deshalb waren die Hoffnungen bei der oppositionellen Labour-Partei groß, traditionell konservative Wahlkreise zu übernehmen, insbesondere im Brexit-feindlichen und einwanderungsfreundlichen London, wo auch nichtbritische EU-Bürger zur Urne gerufen waren. Premierministerin Theresa May, die für ihre Migrationspolitik zuletzt abermals massiv in die Kritik geriet und erst vor wenigen Tagen ihre Innenministerin Amber Rudd durch deren Rücktritt verlor, wurde bereits eine historische Schlappe prognostiziert.

Doch die Regierungschefin durfte gestern aufatmen, während die Erwartungen von Seiten der Sozialdemokraten enttäuscht wurden – möglicherweise auch wegen der Antisemitismusvorwürfe, die seit Wochen die Führungsspitze von Labour erschüttern. Der linke Oppositionschef Jeremy Corbyn musste sich denn auch gegen Kritik aus den eigenen Reihen wehren, die ihm vorhielten, „das Scheitern als Sieg“ zu verkaufen.

Die Stimmung im Land jedenfalls hat sich den Ergebnissen zufolge im vergangenen Jahr kaum verändert. „Insgesamt sehen wir eine Verankerung des Status Quo: ein geteiltes Großbritannien, in dem die großen Städte Labour wählen und der Rest eher für die Konservativen stimmt“, sagte Jonathan Carr-West, Chef des britischen Politikinstituts „Local Government Information Unit“. Stadt gegen Land, Brexit-Anhänger gegen EU-Freunde, Alt gegen Jung – das Referendum um die Mitgliedschaft in der EU 2016 hat die tiefen Risse in der Gesellschaft offenbart, die bis heute nicht verheilt sind.

Zwar haben die Sozialdemokraten in der britischen Hauptstadt zugelegt, doch Erfolge in Wahlbezirken wie Westminster, die als „Kronjuwelen“ bezeichnet werden, blieben aus. Selbst in Kensington erlitt Labour eine Niederlage. Hier war nach dem verheerenden Brand im Grenfell Tower, bei dem 71 Menschen ihr Leben verloren, die Kritik an den lokalen konservativen Behörden besonders laut.

Die Tories haben vor allem in der Provinz an Boden gewonnen und vom Kollaps der rechtspopulistischen Unabhängigkeitspartei (Ukip) profitiert, die das EU-Referendum erst auf die politische Agenda gesetzt hatte und deshalb in den vergangenen Jahren bei Europa- und Kommunalwahlen Erfolge feierte. Mittlerweile kämpft Ukip  um ihre Daseinsberechtigung. Und offenbar vertrauen EU-Skeptiker darauf, dass die konservative Regierung unter Theresa May auf den harten Bruch mit Brüssel setzt – und damit nicht nur die Mitgliedschaft in der Zollunion aufgibt, sondern jegliche Zoll-Partnerschaft mit Brüssel ausschließt. Der Streit darum hat sich in Westminster mittlerweile zur Glaubensfrage hochgeschaukelt – mit bislang ungewissem Ausgang.

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