Brasiliens Ex-Präsident Der gefallene Held zwischen Palast und Knast

RIO DE JANEIRO (dpa) Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (72) beteuert seine Unschuld, wittert eine Verschwörung seiner konservativen Gegner. Seit Monaten zieht sich die Schlinge für ihn, der in den Umfragen für die Präsidentschaftswahl im Oktober führt, immer enger zu. Im Januar wurde er in zweiter Instanz zu zwölf Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt. Nun hat der Oberste Gerichtshof grünes Licht für eine Inhaftierung gegeben. Die Staatsanwaltschaft entscheidet nun darüber. Präsidentenpalast oder Knast, zwischen diesen Extremen bewegt sich Lula, den US-Präsident Barack Obama mal als „beliebtesten Politiker der Welt“ würdigte.

Erst Schuhputzer, dann Gewerkschaftsführer, schließlich schaffte er es 2003 nach mehreren vergeblichen Anläufen als Chef der linken Arbeiterpartei in den Präsidentenpalast. Und begeisterte zunächst die Welt; er sprach auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wie auf dem Gegenforum der sozialen Bewegungen in Porto Alegre. Während seiner Amtszeit bis 2010 modernisierte der „Präsident der Armen“ die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas und verbesserte die Lebensbedingungen von Millionen armer Brasilianer mit dem Programm „Null Hunger“ und der Familiensozialhilfe. In ärmeren Bevölkerungsschichten ist der deswegen noch immer sehr beliebt.

Seine erneute Präsidentschaftskandidatur ist auch ein Feldzug, um den Sturz seiner Nachfolgerin und Parteifreundin Dilma Rousseff per Amtsenthebungsverfahren zu rächen. Brasilien erlebt polarisierende Tage, seine Anhänger gehen auf die Straße, ebenso lassen Gegner Lula-Figuren in Sträflingsuniform von Galgen baumeln. Jüngst wurde Lulas Konvoi beschossen. Kann er nicht bei der Wahl antreten, könnte der ultrarechte Jair Bolsonaro der Nutznießer bei der Wahl sein, er wird als „Trump Brasiliens“ bezeichnet, hetzt gegen die linke Arbeiterpartei und verherrlicht die Militärdiktatur (1964 bis 1985). Kurz vor der Lula-Entscheidung erklärte die Armee, dass die rechtsstaatlichen Normen einzuhalten seien. Ein Hinweis durch die Blume, dass man Lula gern im Gefängnis sehen würde?

Fakt ist, das Denkmal bröckelt, in dem Prozess geht es um eine mögliche Begünstigung durch einen Baukonzern bei einem Penthouse am Atlantik – als Gegenleistung für Auftragsvergaben. Daneben gibt es sechs weitere Prozesse, aber auch der amtierende Präsident Michel Temer und fast die ganze restliche Elite sehen sich Prozessen und Vorwürfen ausgesetzt, die Korruptionsaffären haben das Vertrauen der Bürger dramatisch sinken lassen – viele hoffen auf einen Reinigungseffekt durch das Aufräumen der Justiz.

Lula profitierte bei seiner Armutsbekämpfung auch von sprudelnden Öleinnahmen. Brasilien galt zudem als erwachender grüner Riese, Agrargüter wie Soja wurden zum Exportschlager. Lula stellte sich auch mit der Unternehmerschaft gut, die Frage ist: War er bestechlich wie viele andere? Unklar.

Eine Triebfeder seines Handelns war stets das Bemühen um Respekt für Brasilien in der Welt, in Haiti übernahm Brasilien erstmals die Führung einer UN-Friedensmission und schickte die Fußball-Elf um Ronaldinho zu einem „Spiel des Friedens“. „Wir sind endlich Bürger erster Klasse“, sagte Lula, als Rio den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2016 erhielt. Doch die wenig begeisternden Spiele wurden zum Sinnbild der Krise. In Rio fehlt heute überall Geld, wegen eskalierender Gewalt hat das Militär hier die Kontrolle übernommen.

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