Überleben im Gitterkäfig

Saarbrücken · Beim Ophüls-Festival 2013 erhielt Regisseur Stefan Schaller für seinen Film „5 Jahre Leben” zwei Preise. Morgen startet das Guantanamo-Drama in den Kinos. Es erinnert mit eindringlichen Bildern an einen skandalösen Verstoß der USA gegen die UN-Anti-Folter-Konvention.

 Murat Kurnaz (Sascha Alexander Gersak) und ein Leguan – selbst der wird später zum Druckmittel im Verhör. Foto: Zorrofilm

Murat Kurnaz (Sascha Alexander Gersak) und ein Leguan – selbst der wird später zum Druckmittel im Verhör. Foto: Zorrofilm

Foto: Zorrofilm

Es ist erschreckend, welch ein Hass Murat Kurnaz noch heute entgegen schlägt. In diversen Internet-Foren ist die Rede von einer "wohlverdienten Auszeit in Guantanamo", die Kurnaz erhalten habe; an anderer Stelle wird spekuliert, aus welchen dubiosen Quellen der heute 33-Jährige wohl das Geld für den Sportwagen erhielt, den er angeblich fährt. Es sind beschämende Versuche, Zweifel zu sähen an der Unschuld eines Mannes, der fünf Jahre lang im Foltergefängnis Guantanamo saß, ohne dass ihm Verwicklungen in Terror-Aktivitäten nachgewiesen werden konnten.

Warum reist ein 19-jähriger Bremer türkischer Abstammung kurz nach dem 11. September 2001 nach Pakistan, wo er von den USA aufgegriffen und über Afghanistan nach Guantanamo verfrachtet wird? Hatte er wirklich nicht im Sinn, sich den Taliban anzuschließen? Skeptische Fragen wie diese aus seinem Freundeskreis hätten ihn wütend gemacht, sagte der Regisseur Stefan Schaller (33) im Januar beim Max-Ophüls-Festival. Schaller räumte dort mit seinem Film "5 Jahre Leben" über Kurnaz' Geschichte gleich zwei Preise ab (den Interfilm-Preis und den Jugendjury-Preis). "5 Jahre Leben", zugleich die Diplomarbeit des Regisseurs an der Filmakademie Baden-Württemberg, startet morgen bundesweit in den Kinos.

Dass Schaller, der auch das Drehbuch schrieb, möglichen Fallstricken auswich, indem er im Film die Schuldfrage ausklammert, kann man mutlos finden. Oder aber konsequent - im Sinne der von ihm beabsichtigten Konzentration auf die Geschichte eines Überlebenskampfes in einem unmenschlichen Haft-System. Tatsächlich wird der politische Skandal nur am Rande erwähnt: Dass die USA Deutschland bereits 2002 Kurnaz' Freilassung anboten, der jedoch weitere vier Jahre inhaftiert blieb, weil das Kanzleramt unter Frank-Walter Steinmeier ablehnte.

Die Fragen, die Schaller dagegen in den Vordergrund rückt, lauten: Wie schafft es ein Mensch, die Hölle Guantanamo zu überstehen? Woher nahm Kurnaz die Kraft, trotz Schlägen und Folter jahrelang ein "Geständnis" zu verweigern? Dabei konzentriert sich der Regisseur, der größtenteils im Studio Babelsberg drehte, auf Kurnaz' erste Haft-Zeit bis 2003. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Kurnaz (Sascha Alexander Gersak) und dem Verhörspezialisten Gail Holford (Ben Miles). In kammerspielartigen Szenen entfaltet sich zwischen den Männern ein Psycho-Duell. Dieser eher beklemmend stillen Erzählweise gibt Schaller den Vorzug vor allzu plastischen Folter-Darstellungen - auch wenn er diese nicht ausspart. Holford begegnet Kurnaz zunächst freundlich. Je hartnäckiger der Häftling allerdings sein Geständnis verweigert, desto aggressiver wird sein Gegenüber. Schläge, Isolationshaft, Folter sind die Folge. Kurnaz begreift allmählich, worum es geht: Die USA brauchen Geständnisse - um jeden Preis. Um zu rechtfertigen, dass hier Menschen ohne Gerichtsurteil in Gitterkäfigen gefangen gehalten werden. Eine Erkenntnis, die er versucht, für sich zu nutzen.

Schaller ist ein dichter, spannender Film gelungen. Der gerade durch die Emotionalisierung das Thema Menschenrechtsverletzung in den Vordergrund rückt. Er erinnert uns an einen skandalösen Verstoß der USA gegen die Anti-Folter-Konvention. Und daran, dass in Guantanamo immer noch 166 Häftlinge meist ohne Verfahren gefangen gehalten werden. Nicht wenige - durch Hungerstreiks geschwächt - mittlerweile mehr tot als lebendig.

"5 Jahre Leben" startet morgen im Filmhaus Saarbrücken. Kritik morgen im treff.region.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie anderen neuen Filme: Die Camera Zwo (Sb) zeigt den Berlinale-Sieger "Mutter & Sohn" aus Rumänien, der eine komplexe Familiengeschichte erzählt, aber auch von ungleichen Machtverhältnissen im Land. Ebenfalls in der Camera läuft die Doku "Die Ostsee von oben" mit spektakulären Bildern. In vielen Kinos ist die Fortsetzung "Fast & Furious 6" zu sehen, die das Zielpublikum kompetent bedient - mit den bekannten Helden und viel Kabumm. redKritiken und Termine morgen im treff.region

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